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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Wunder also, dass die Bürger Lewistons das vom Brand zerstörte Krankenhaus nicht mehr als Gottreich Hospital bezeichneten und stattdessen lieber vom alten Kingdom sprachen.
    Niemand erinnerte sich gerne daran, was im berühmtberüchtigten Schmerzraum geschehen war.
    »Keine Angst, der Raum heißt nur so.«

DAS SALLY-DRUSE-GIPFELTREFFEN
    Das Leben hat nur selten ausschließlich gute Nachrichten für uns parat. Das gilt besonders dann, wenn die Überbringer derselben Ärzte oder Anwälte sind.
    Aber fangen wir mit den guten Nachrichten an: Mein Blutgastest hatte ergeben, dass meine Atmung in Ordnung war, und laut EKG und Blutbild war auszuschließen, dass ich einen Herzinfarkt erlitten hatte. Und was die alles entscheidende Frage nach einem weiteren epileptischen Anfall betraf, eröffnete man mir, dass das erst kürzlich gemachte Langzeit-EEG keinerlei Hinweise auf einen solchen ergeben hätte, was allerdings laut Dr. Massingale nicht ausschloss, dass ich im Aufzug doch einen solchen Anfall gehabt hatte. Noch war die Beweislage nicht eindeutig. Man mutmaßte nur.
    Immerhin war der Bluterguss in meinem Schläfenlappen, der auf den in Boston gemachten Aufnahmen noch sehr gut zu sehen gewesen war und als Ursache für mögliche epileptische Anfälle gegolten hatte, inzwischen vollständig verschwunden.
    Die neuen Aufnahmen meines Gehirns waren ohne Befund, was sich mit der Vorhersage von Dr. Massingale deckte, dass solche Prellungen und Blutungen normalerweise innerhalb von sechs bis zwölf Wochen verheilt waren. 
    Auch die ältere Verletzung in meinem linken Stirnlappen war auf den Aufnahmen nicht mehr feststellbar. Dr. Massingale erklärte mir das ziemlich weitschweifig mit den verschiedenen Auflösungen und Aufnahmewinkeln unterschiedlicher Geräte, was mich nicht sonderlich interessierte. Wichtig war für mich nur eines: Meine Gehirnaufnahmen zeigten keinerlei krankhafte Veränderungen mehr.
    Im Hinblick auf mein Gehör ließ Dr. Massingale nichts unversucht. Ich hielt unbeirrt daran fest, dass ich im Schacht von Aufzug 2 ein Kind weinen gehört hatte. Und ob es sich dabei um die Stimme einer Wesenheit, eine Stimme aus der Vergangenheit, aus meinem Inneren, meiner gespaltenen Persönlichkeit, eines Engels oder eines Dämons gehandelt hatte, brauchte ich nicht mit einer Ärztin zu diskutieren. Ich wollte sie nur davon überzeugen, dass ich etwas gehört hatte und dass sie mir helfen sollte, das zu beweisen.
    Dr. Limen, die Ohrenärztin, bescheinigte mir einen leichten, altersbedingten Hörverlust sowie den Verdacht auf Tinnitus, unter dem ich schon einmal gelitten hatte.
    Ich versuchte Dr. Massingale und Dr. Limen klar zu machen, dass das Weinen im Aufzugschacht nicht wie ein Tinnitus geklungen habe, woraufhin Dr. Limen meinte, dass das, was man bei einem Tinnitus »höre«, nicht nur von Patient zu Patient verschieden sei, sondern auch bei ein und demselben Patienten die unterschiedlichsten Formen annehmen könne. Es sei also durchaus möglich, dass sich mein Tinnitus vor Jahren als Brummen oder Singen in meinen Ohren geäußert hätte und heute, im Jahr 2003, wie eine Stimme in einem Aufzugschacht klänge.
    Ähnlich enttäuschend war das Ergebnis der Analyse des Tonbands aus dem Diktiergerät, auf dem angeblich nichts anderes zu hören war als die normalen Geräusche in einem Aufzugschacht: das Brummen eines Motors, das Schwirren von Stahlseilen und das Zischen einer Luftdruckbremse, die von den Wänden des Schachts widerhallten. Ich ersuchte Dr.
    Massingale, das Band einem höher qualifizierten Tonbandexperten aus einer anderen Krankenhausabteilung zu übergeben. Sie beharrte zwar darauf, dass die bisherigen Ergebnisse eigentlich stichhaltig genug seien und keinerlei Hinweis auf Stimmen im Aufzugschacht enthielten, gab aber schließlich doch nach und sicherte mir zu, wegen des Bandes einen Kollegen von der Psychoakustik zu konsultieren.
    Dann sahen Dr. Massingale und ich uns über den Konferenztisch hinweg an wie zwei Spieler bei der Poker-Weltmeisterschaft im Texas Hold’Em. Sie konnte jetzt nicht mehr auf den epileptischen Anfällen herumreiten, und ich hatte keine Beweise dafür, dass ich eine reale Stimme gehört hatte.
    Und was nun? Ich wusste, dass Dr. Massingale unter anderem Psychologie studiert und sich mit Psychoanalyse befasst hatte, und ahnte, dass es jetzt gleich um das gehen würde, was das Ekelpaket Dr. Stegman in Boston als »Nicht-organische und nicht fassbare Probleme« bezeichnet hatte. Oder

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