Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
Vom Netzwerk:
Eis, der durch meinen Darm kroch. Was immer die Ursache für dieses Gefühl war – es ließ mich augenblicklich über meine Schulter blicken, in die Diele, als würde etwas Bedrohliches von dort in das Schlafzimmer strömen.
    Erst ein paar Sekunden später registrierte ich ein Geräusch. Es schien aus dem Wohnzimmer zu kommen. Als zöge jemand einen altertümlichen Wecker auf. Wieder und wieder.
    Oder eine Spieluhr?
    Ja. Eine Spieluhr.
    Kommt dir das nicht bekannt vor, Jack?
    Die Melodie spielte los. Somewhere over the rainbow. Ich sah eine Silhouette am Milchglas der Wohnzimmertür. Deutlich konnte ich einen Lockenkopf erkennen. Der Schatten bewegte sich vor und zurück. Im Takt der Melodie. Zu den Tönen gesellte sich ein weiteres Geräusch. Als rollte ein Reifen über knarzendem Parkett. Und dann eine Mädchenstimme. Singend. »Way up high, there‘s a land that I heard of, once in a lullaby.«
    Meine Hand zitterte, als ich sie auf den Knauf der Wohnzimmertür legte.
    »Somewhere over the rainbow, skies are blue, and the dreams that you dare to dream, really do come true.«
    Ich öffnete die Tür.
    Stille.
    Kein Mädchen. Keine Spieluhr.
    Dafür tauchte dieses verschwommene Bild in meinem Kopf auf. Helle, blaue Augen, weit aufgerissen. Eine Locke in der Stirn. Aus den Augenwinkeln flossen Tränen. Sie glitzerten in feurigem Orange. Nun erkannte ich auch den Mund. Schmerzverzerrt. S chreiend.
    Das Klingeln des Lifts gellte durch das Vorhaus. Kurz darauf hörte ich das Knarren der Lifttür.
    Sie kommen, Jack. Sie werden dich holen.
    Niemand wird mich holen. Es werden nur Nachbarn sein. Oder das Mädchen, das vom Joggen zurückkommt.
    Lauf, Jack! Lauf um dein jämmerliches Leben.
    Schritte hämmerten durch den Gang. Mindestens zwei Personen. Sie kamen näher.
    Ich versuchte, die aufkommende Panik zu verdrängen. Doch tief in meinem Inneren wusste ich, dass diese verhasste Stimme in meinem Kopf Recht hatte. Wer immer durch den Gang rannte – wollte zu mir.

4
     
    Die Luft atmete sich wie muffige Watte. Meine Lunge forderte tiefe Atemzüge, aber ich wagte nicht, diesem Bedürfnis nachzugeben. Jedes noch so leise Schnaufen konnte mich im Schlafzimmerschrank verraten. Dazu kam ein Gefühl des Ausgeliefertseins, ausgelöst durch die Dunkelheit und die Enge. Nur durch einen Schlitz zwischen den beiden Schranktüren schnitt ein Lichtstrahl durch die Finsternis.
    Mir war bewusst, dass jemand, der mich suchte, früher oder später im Schrank nachsehen würde. Aber es gab diese kleine Restwahrscheinlichkeit, dass die Besucher nichts von meiner Anwesenheit wussten.
    Das Knar r en von Schritten in der Diele verriet, dass sie die Wohnung betreten hatten und sofern sie kein direktes Ziel hatten, würden sie so wie ich zuerst d en Wohnraum aufsuchen. Das Knar r en in der Diele wurde leiser, gefolgt von einer Männerstimme. Gedämpfte Worte drangen durch die Schranktür, zu leise gesprochen, als dass ich sie hätte verstehen können . Die Wohnzimmertür klackte ins Schloss.
    Ein Geräusch. Im Schlafzimmer. Ein Schleifen, als würde eine Person über den Holzboden robben. Dann hastige Schritte, die sich entfernten. In die Diele. Ins Treppen haus.
    »Da ist jemand!«, schrie ein Mann. Der Türknauf wurde gedreht . »Er ist raus!«
    »Du bleibst hier«, antwortete der andere. Kurz darauf hämmerten wiederum Schritte im Korridor, wurden schnell leiser.
    Immer wieder fragte ich mich, warum ich mich versteckte. Es war meine Wohnung und außer mir hatte hier niemand etwas zu suchen. Doch vermutlich war es diese Stimme in meinem Kopf, diese Panik in meiner Brust und dieses Drücken im Magen, das mir unmissverständlich mitteilte, dass diese Männer mir keinen Höflichkeitsbesuch abstatteten. Sie waren gefährlich. Tödlich. Wie die beiden im Motel. Sofern es sich nicht ohnehin um dieselben Personen handelte.
    Und da war diese andere Sache. Jemand hatte sich im Schlafzimmer befunden. Alle drei Schranktüren waren offen gestanden. Daher musste sich die Person unter dem Bett versteckt haben, als ich die Wohnung betreten hatte. Wer immer dort gelegen war, hatte einen entscheidenden Vorteil: Er hatte das Appartement verlassen. Zumindest erschien mir das in diesem Augenblick vorteilhaft, denn die Schritte in der Diele verrieten mir, dass der Mann näher kam. Es war plausibel, dass er nun, nachdem aus diesem Raum jemand herausgerannt war, nachschaute, ob sich eine zweite Person versteckt hatte. Unter dem Bett.
    Oder im Schrank.
    Dass ich mit

Weitere Kostenlose Bücher