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Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
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»Ich habe einen Termin.
    »Haben Sie?«, brummte der Portier und richtete sich auf. Zwei Meter fünfzig.
    »Ja. Reynolds«, fügte ich hinzu. »Fire Department von New York City.«
    Der skeptische Blick wanderte zu meinem Bein. Die wulstigen Augenbrauen hoben sich.
    »Genau das ist der Grund für meinen Termin.« Ich ging davon aus, dass der Portier keine Ahnung hatte, was das Wort Physiotherapie genau bedeutete und wandte mich ohne seine Reaktion abzuwarten zu den beiden Fahrstühlen rechts neben der Portierloge. Eine Lifttür öffnete sich und ein Mann in grauem Overall – auf der Brusttasche befand sich die Aufschrift FedEx – stieg aus. Schnell humpelte ich auf die offene Tür zu , stieg in den Fahrstuhl und atmete tief durch, als sich die Tür schloss und der Lift losfuhr.
    Mit einem Ruck stoppte die Kabine im dritten Stockwerk . Kaum hörbar schob die Tür sich zur Seite und gab den Blick auf einen mit hellgrünem Teppich ausgelegten Flur frei. Gegenüber dem Fahrstuhl befand sich eine dunkle Holztür mit der Aufschrift Physiotherapy , darunter stand der Name Sandra Berington .
    Eine Dame mit einem Mädchen an der Hand wartete darauf, dass ich den Lift verließ. Die Kleine drückte sich an die Frau und starrte auf meinen Oberschenkel. Sie zog an den Fingern ihrer Mutter, die den Arm auf ihre Schultern legte. Langsam humpelte ich aus dem Fahrstuhl.
    Außer den beiden war der Gang leer. Auch wenn dieser Umstand mich beruhigen sollte, verunsicherte er mich. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Polizei vielleicht? Ein Sicherheitsteam, bestehend aus Brüdern des Portiers? Es gab viele Möglichkeiten. Aber ein leerer Gang? Damit hatte ich nicht gerechnet.
    Die Frau stieg mit ihrer Tochter in den Fahrstuhl. Der Gang des Mädchens wirkte seltsam. Als würde das Gehirn unkoordinierte Informationen an die Muskulatur schicken, die es dem Mädchen unmöglich machten, geradeaus zu gehen. Ihr Unterleib schien steif zu sein. Diesen Umstand glich sie mit Hin- und Herschwenken des Oberkörpers aus.
    »Was ist?«, fragte die Frau. Verlegen schüttelte ich den Kopf, als mir bewusst wurde, dass ich das Mädchen anstarrte.
    »Nichts«, sagte ich.
    Ich empfand ein Gefühl, das ich nicht einordnen konnte. Es war kein Mitleid. Keine heuchelnde Traurigkeit. Nein. Es war Respekt. Aufrichtige Hochachtung vor der Kleinen. »Bist ein tapferes Mädchen«, sagte ich zu ihr und lächelte sie an. Sie schien meine Aufrichtigkeit zu spüren. Ihre Augen glänzten und die Lippen bildeten ein Lächeln.
    »Danke, Mister«, sagte sie, kurz bevor die Lifttür geschlossen war.
    »Gern geschehen«, sagte ich leise.
    Ich kannte dieses Gefühl. Diese Situation. Ich hatte sie schon erlebt. Nicht mit diesem Mädchen. Aber mit Kindern. Kinder, mit einer Behinderung. Ich fühlte aufrichtigen Respekt vor ihrer Kraft, mit einem Handikap in unserer Gesellschaft bestehen zu können. Und ich fühlte diesen Drang, ihnen dabei helfen zu wollen. Helfen zu können . Dieses Gefühl schwappte aus meinem vergessenen Leben in die Gegenwart. Auch wenn mein Gehirn mir keine Bilder lieferte, so wusste ich, dass ich eng mit diesen Kindern verbunden war. Sehr eng. Ich wusste nur nicht, auf welche Weise.
    Die Einrichtung des Warteraums war in hellem Holz gehalten. Vier Stühle mit hellblau gepolsterten Sitzflächen standen rechts neben der Tür. Davor ein Couchtisch, auf dem Magazine abgelegt waren. Gegenüber befand sich eine angelehnte Tür. Vermutlich führte sie in das Therapiezimmer. Zwischen Stühlen und Therapiezimmer stand ein halbkreisförmiger Schreibtisch. Der Bildschirm war eingeschaltet. Papier lag in scheinbarem Chaos auf der Tischplatte verstreut. Neben dem Monitor stapelten sich ungeöffnete Briefe. Sie lagen auf einem hellbraunen Päckchen.
    »Ich komme gleich«, rief eine Frau aus dem angrenzenden Raum, begleitet von einem Geräusch, als würde ein Stuhl über einen Holzboden geschoben.
    Ich griff nach dem Päckchen. Sandra Berington, 50 4th Street, Manhattan, New York City , stand in krakeliger Schrift auf einem FedEx Adressenaufkleber, Jack Reynolds war links oben hingekritzelt worden.
    Das Päckchen war etwa zwanzig Zentimeter lang und fünfzehn Zentimeter breit. Etwas Hartes, Flaches war in hellbraunes Papier eingewickelt worden, die Ränder mit breitem Klebeband fixiert. Es wog 0 .53 Kilogramm laut Aufkleber . Eine Mappe, war mein erster Gedanke. Mit Unterlagen, die diese beiden Männer in meiner Wohnung gesucht hatten.
    Schritte im Praxisraum. Im

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