Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
nach uns. Wie zisch ende Schlangen fuhren sie zur Raumdecke und tauchten den Raum in ein blaugrünes Licht.
»Ruhig, Jacky«, flüsterte sie in mein Ohr. Doch meinte ich zu spüren, dass sie sich selbst dadurch beruhigen wollte.
Ketten rasselten und schlugen gegen das Holz der Tür. Die Flammen wurden dichter, ordneten sich kreisförmig an, wie ein brennender Reifen im Zirkus, und das Raubtier, ein zwei Meter großer Werwolf, sprang durch ihn hindurch. Seine rot leuchtenden Augen richteten sich auf mich. Ein Grinsen zeigte die spitzen Reißzähne. In der Kralle hielt er einen Ledergurt.
»Ruhig, Jacky«, flüsterte Mutter und strich über mein Ohr. Erst jetzt merkte ich, dass es schmerzte. Es brannte. Höllisch. Mutters Finger waren blutverschmiert.
Der Wolf schwenkte den Gurt durch die Luft, als sollte das Stück Leder mich an etwas erinnern. Nein. Kein Gurt. Eine Leine. Eine Hundeleine.
Die Wolfslefzen bewegten sich. Na? Hast du deine Lektion gelernt, Jack?
Tommy. Es war jener Tag, an dem ich Tommy nach Hause gebracht hatte. Ein Collie-Welpe. Er war mir auf der Straße zugelaufen und nicht mehr von der Seite gewichen. Der Werwolf kam näher. Blut tropfte von der Hundeleine in die dreckig rote Brühe und färbte sie schwarz. Die Oberfläche begann zu zittern. Piranhaköpfe erschienen. Gierig rissen sie das Maul auf und schnappten nach dem schwarzen Blut.
»Wo ist Tommy?«, brüllte ich und riss mich aus Mutter s Umklammerung.
»In der Hölle«, antwortete der Wolf und lachte. Auf dem Fernsehgerät lag ein Schürhaken. Wir besaßen keinen Schürhaken in unserer Wohnung, d ennoch lag er dort und schien meinen Namen zu rufen. Nimm mich, Jacky! Und zeig deinem Dad, dass du deine Lektion gelernt hast.
»Nicht, Jacky«, rief Mutter. Ich war aufgesprungen und watete durch die Brühe zum Fernsehgerät. An meinen Knöcheln nagten rasiermesserscharfe Zähne. Es mussten tausende sein, da die Oberfläche im gesamten Wohnzimmer zu zittern begann. Da und dort tauchte ein Kopf auf und rote, brennende Augen schielten nach mir.
Ich griff nach dem Haken und sprang auf den Wolf zu. Ich holte aus und sah das spitze Ende auf die behaarte Brust zurasen. Tief bohrte sich der schmutzige Stahl in meines Vaters Brust. Er schrie nicht. Er wankte nicht. Er lachte nur und stieß mich zurück. Ich fiel, während er den Haken aus seiner Brust riss und ihn zu meiner Mutter warf.
Ich spürte die warme Brühe meinen Körper umspülen, die zappelnden kleinen Monster in meine Kleidung schwimmen, ihre Zähne an meiner Haut knabbern. Aber die eigentliche Bedrohung ging von dem Wolf aus. Er sprang auf mich zu, fasste mich am rechten Bein und stieß seine Reißzähne tief in meinen Oberschenkel. Der Schmerz fuhr in die Zehenspitzen und dann mit rasender Geschwindigkeit in meinen Magen. Ich schrie nach Mutter. Aber ich wusste, dass sie mir nicht helfen würde. Ich blickte zu ihr, als ich das Krachen des Knochens vernahm und der Wolf das Bein von meinem Körper riss. Sie streckte ihre Arme in meine Richtung. Ihre knöchrigen Arme, an denen das verfaulte Fleisch hing. Ihr Totenschädel schien zu schreien, ihre Brust sich aufzubäumen, als versuchte sie, aus ihrem Rollstuhl aufzustehen. Dabei wusste sie doch, dass das aufgrund ihrer zertrümmerten Wirbelsäule nicht möglich war.
Irgendetwas zog mich in die Tiefe. Die blutige Brühe floss in meinen Mund, in meine Nase. Ich strampelte mit meinem verbliebenen Bein, versuchte nach oben zu schwimmen.
Du musst jetzt aufwachen, Jacky.
Any?
Wach jetzt auf!
Ich bäumte mich auf und stieß mit der Stirn gegen etwas Hartes. Ein Haltegriff auf einer gebogenen Stange. Er schwenkte von mir fort und wieder zurück. Ich sah ihn kommen, unternahm aber nichts dagegen, als er wiederum gegen meinen Schädel schlug. Ich starrte nur auf die Bettdecke, fasste nach ihr – was nicht einfach war, da meine Arme mit einem Gurt am Bett fixiert waren – und schlug sie zurück.
Es war da. Mein Bein war da. Um den Oberschenkel war ein Verband gewickelt und ich fühlte einen dumpfen Schmerz, der bis in den Unterschenkel reichte. Ich bewegte die Zehen, ließ mich in das Kissen zurückfallen und blickte auf die Tropfflasche, die durch einen Schlauch mit meinem rechten Arm verbunden war.
Noch bevor mir klar wurde, dass ich in einem Krankenzimmer lag, und ich mich freuen sollte, dass ich mein Bein nicht verloren hatte, begann ich zu weinen. Ich weinte um Tommy und meine Mutter. Dieser Traum hatte mich kurz in mein ver
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