Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
Vom Netzwerk:
Vorschein kamen. Obenauf lag ein Schlüsselbund. Wieder lehnte er sich in den Sessel zurück und grinste.
    »Sehr umsichtig von Ihnen«, sagte ich und griff nach meiner Brieftasche. Der Mann nickte. Wohl weniger, um meine Aussage zu bejahen, sondern als Bestätigung, ihm meinen Dank in Form von raschelnden Dollars zu bekunden.
    Ich zog eine Fünfdollarnote aus dem Portemonnaie und warf sie in die Schublade. Der Mann rührte sich nicht.
    »Sind schon einige Wagen gestohlen worden. Nur Scherereien. Die Polizei, Protokolle, Fragen. Und ohne Schlüssel hat man auch bei der Versicherung keine Chance.« Er nickte zweimal zur Lade.
    Ich warf einen weiteren Schein auf die Tischplatte, was ihn letztlich dazu veranlasste nach dem Schlüsselbund zu greifen und ihn vor seinem Gesicht hin und her zu schwenken.
    »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, sagte er. »Ist nicht jeder Mensch so ehrlich wie ich.«
    Ich beugte mich über den Schreibtisch und griff nach dem Schlüssel. Der Mann zog ihn schnell nach hinten, sodass meine Hand ins Leere fuhr.
    »Zwanzig«, sagte er und nickte zur Schublade. Alkoholdunst begleitete das Wort. Beinahe zeitgleich sah ich ein Glas mit hellbrauner Flüssigkeit beim Monitor stehen. Brandy. Ich schüttelte den Kopf. Einerseits verneinte ich damit seine Forderung nach mehr Geld, andererseits – und das beunruhigte mich – bekäm p fte ich das Verlangen, nach dem Glas zu greifen und einen kräftigen Schluck zu nehmen.
    Das Grinsen des Mexikaners verschwand augenblicklich. »Nein?«
    »Nein. D er Schlüssel.« Der Oberschenkel schmerzte. Meine Mundhöhle fühlte sich trocken und staubig an, als hätte ich Wüstensand nach oben gewürgt. Nur einen Schluck Brandy, um den Sand wieder hinunter zu schwemmen. Mei ne Arme begannen zu zittern. E ine Faust drückte von innen gegen meinen Brustkorb. Das Brennen, dieses Drücken, das trockene Würgen – alles würde sofort verschwinden, wenn ich nur einen einzigen Schluck machen dürfte. Oder zwei.
    »Hören Sie, Mister. Ich … «
    »Verdammte Scheiße! Geben Sie mir meine n Schlüssel! Jetzt!« Meine Faust donnerte auf die Tischplatte, angetrieben von Zorn, der sich wie ein Atomblitz in meinem Körper ausbreitete. Meine Muskeln spannten sich. Alles in mir schrie danach, diesen Mistkerl über den Tisch zu zerren und ihm den Arm, in dessen Hand sich der Schlüssel befand, aus dem Schultergelenk zu reißen. Aber so schnell diese unbändige Wut gekommen war, verschwand sie wieder, und ich erschrak vor mir selbst. Vor diesem Bild in Purpurr ot, worin ich den Schlüsselbund aus den leblosen Fingern riss und den Arm auf den blutigen Stumpf zurück warf.
    Der Mexikaner zuckte zusammen. »Schon gut.« Er hob beide Arme in die Höhe. »Nach allem, was ich gestern für Sie gemacht habe … « Er warf die Schlüssel auf den Tisch. » … hätte ich mir schon ein wenig mehr erwartet.«
    Ich griff nach dem Schlüsselbund, bemerkte, dass meine Hand zitterte, steckte ihn in die Hosentasche und nickte dem Mann zu. Meine Absicht, die zerbrochene Fensterscheibe zu ersetzen, hatte sich nach diesem Gespräch in Luft aufgelöst. Allerdings hatte er mein Interesse geweckt.
    »Und was genau haben Sie gestern alles für mich gemacht?« Mein Blick fiel abermals auf das Glas. Noch immer zitterte ich und war überzeugt, dass dieses goldbraune Elixier meinen Muskeln die Ruhe eines Neurochirurgen einflößen würde.
    Das Grinsen kehrte in das Gesicht des Mannes zurück. »Das Päckchen!«, rief er aus. »Ich hab‘s noch gestern Abend bei FedEx aufgegeben. Express. Sollte heute Vormittag in der Stadt ankommen. Wie Sie es gewünscht haben.«
    Ich hatte keine Ahnung, von welchem Päckchen dieser Mann sprach. »Ich habe mich doch bedankt«, sagte ich, da ich davon ausging, dass dieser schleimige Kerl ohne Bezahlung nicht einmal furzen würde.
    Er nickte. »Sehr großzügig. Ach … « Er tippte auf die Brusttasche seines beigen Hemdes. »Die Quittung.« Mit einem Blick durch das Fenster stand er langsam auf. »Was, zum … « Sein Hals wurde länger. Dann zog er die schwarze Stoffhose nach oben und schlurfte an mir vorbei. »Bin gleich wieder da«, murmelte er und riss die Tür auf. »He Sie!«, hörte ich ihn noch brüllen. Kurz darauf schlug die Tür mit einem Klacken ins Schloss.
    Durch das Fenster sah ich einen blauen Wagen die Schotterstraße entlang fahren. Wild gestikulierend lief der Mexikaner über die Parkfläche.
    Ich nahm an, dass er mit Stadt New York City gemeint hatte.

Weitere Kostenlose Bücher