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Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
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und ging schnellen Schrittes zur Portierloge zurück.
    Ich setzte mich vor dem Eingang auf den Boden. Das Bein schmerzte, und jede Faser meines Körpers lechzte nach Ruhe. Durst. Ich hatte unendlichen Durst. An der gegenüberliegenden Straßenseite leuchtete Goergie‘s Bar von einem Neon-Schriftzug in hellem Blau. Die Fenster waren mit dunklem Stoff verhangen. An den Ecken drang Licht nach außen. Licht, das mich anzog wie die Straßenlaterne zwei Meter vor mir d ie unzähligen Motten.
    Ein Klacken hinter mir an der Tür. Sie wurde geöffnet.
    »Jack?«
    Ich drehte mich um und blickte in das wohl schönste Gesicht, das ich mir vorstellen konnte. Wäre Gott eine Frau – so würde sie aussehen. Schwarze Locken fielen gut zwanzig Zentimeter über ihre Schultern. Dunkle Pupillen stachen aus leuchtendem Weiß. Die Lippen wirkten puppenhaft und schürten die Sehnsucht nach einem Kuss. Die Nase war etwas zu groß, was die Attraktivität des Gesichtes aber keinesfalls schmälerte. Im Gegenteil – es unterstrich die südeuropäische Ausstrahlung und gab dieser Frau etwas Italienisches. Sie war höchstens einssechzig groß und wirkte in ihrem grauen Jogginganzug sportlich. Vielleicht etwas üppig im Gesäßbereich, was aber wie bei der Nase keinesfalls negativ auffiel. Nein. Alles in allem wirkte diese Frau auf unvollkommene Weise perfekt. Wie ein Magnet zog sie jede einzelne Zelle meines Körpers an, mit einer Kraft, gegen die ich mich nur mit Mühe wehren konnte.
    Sie hatte die Augenbrauen hochgezogen. Die Lippen standen offen. Sie schien überrascht. Freudig überrascht. Kaum merkbar schüttelte sie den Kopf.
    Und lächelte.
    Ich gab der Anziehungskraft nach und stand langsam auf. »Hallo … «, sagte ich leise. Ich war verunsichert. Die Art, wie sie meinen Namen ausgesprochen hatte und vor allem wie sie mich anblickte, sagte mir, dass sie mich kannte. Ihr Lächeln verriet, dass sie mich gut kannte. Nur wie gut – das konnte ich nicht abschätzen.
    »Wo warst du?«, fragte sie. Ich konnte die Sorge deutlich heraushören. »Ich versuche dich seit drei Tagen zu erreichen.«
    Sie umarmte mich und drückte ihren Kopf fest gegen meine Brust.
    Wir kannten uns also sehr gut.
    Auch wenn ich mir wünschte, diese Frau ebenfalls an mich zu drücken, wagte ich nicht meine Arme um sie zu legen. Etwas hemmte mich. Ich konnte nicht sagen, was es war. Vielleicht die Angst, sie zu verletzen, oder einfach nur die Ungewissheit, ob diese Umarmung nun freundschaftlicher Natur war oder die eines Liebespaares. So gesehen kam es mir gelegen, dass ich meine Jacke immer noch um meine Schulter gelegt hatte und nur einen Arm frei hatte. Ich legte ihn um ihre Hüfte und drückte sie kurz an mich. Ihr Haar roch nach Shampoo. Süßlich. Aber nicht billig. Sie hob ihren Kopf und blickte mich mit großen Augen an. »Wo warst du?«, fragte sie leise.
    Etwas an ihrer Frage kam mir seltsam vor. Wieso fragte sie mich, wo ich gewesen wäre? Sie wusste , wo ich war. Immerhin hatten mich die Sanitäter aus ihrer Praxis in das Krankenhaus gebracht. Und wieso hatte sie versucht, mich seit drei Tagen zu erreichen?
    Möglicherweise war sie nicht in der Praxis gewesen, als ich das Päckchen geholt hatte. Vielleicht war es eine Assistentin, die ich telefonieren gehört hatte. Ja – das war eine Erklärung.
    Sie schloss die Augen und drückte den Kopf wieder an meine Brust, stieß mit ihrer Hüfte gegen meinen rechten Oberschenkel. Ich zuckte zurück und stöhnte leise auf.
    »Es ist einiges passiert«, flüsterte ich in ihr Ohr. »Verrückte Dinge … lass uns rein gehen. Ich muss mich setzen.«
    Ich spürte sie nicken. Sanft löste ich mich aus ihrer Umarmung. Sie fasste nach meiner Hand, strich über den Handrücken, zog mich zu sich hinab und gab mir einen zärtlichen Kuss. Gäbe es für Weichheit eine Skala, dann würden ihre Lippen diese sprengen. Und dieser Duft. Es war kein Parfum. Es war einfach nur Sandra. Sie roch vertraut, besser als die kostbarsten orientalischen Öle.
    I ch musste die Augen schließen, k onnte nicht anders. Dieses Gefühl war unbeschreiblich. Als hätte ich es tausend Mal gefühlt – und jedes Mal mit doppelter Intensität.
    Und doch schwang etwas mit. Etwas, das mich zur Vorsicht mahnte. Vermutlich war es das schlechte Gewissen, d ass ich vergessen hatte, wer diese wunderbare Frau war und ich sie liebte. Dass alle gemeinsamen Erlebnisse, die wir zweifellos gehabt hatten, wegge wischt waren. E s lag jetzt an mir, Sandra mitzuteilen,

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