Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
dass ich mich nicht an sie erinnern konnte, sondern sie nur aufgesucht hatte, um ihr von Patricia und den Tagebucheinträgen zu erzählen.
»Du siehst müde aus«, sagte sie mit sorgenvolle m Lächeln . Sie zog mich in das Gebäude und nickte dem Mexikaner zu. »Das ist mein Jack«, sagte sie zu ihm. Er nickte zurück und schloss die Tür ab.
Sandras Gang war seltsam. Lag es daran, dass sie mich wie eine kleine Lokomotive hinter sich her zog? Nein. Der Bewegungsablauf zwischen Oberschenkelknochen und Hüfte schien nicht richtig zu funktionieren, was zur Folge hatte, dass sie das Becken bei jedem Schritt nach außen drehte. Aber das störte mich nicht im Geringsten . Diese Frau vor mir war perfekt. Hüftfehlstellung hin oder her.
Im Fahrstuhl drückte sie sich wieder an mich. Küsste mich abermals. Ich konnte nichts sagen, genoss einfach nur dieses Gefühl und hoffte, dass dies kein Traum war. Diese wunderbare Frau in meinen Armen. Diese Lippen auf den Meinen. Dieser D uft, der mich die Augen schließen ließ. Und vor allem die Tatsache, dass ich jemanden ge funden hatte, der mich kannte, mein Leben kannte u nd mir vielleicht meine Erinnerung wieder zurückgeben konnte.
Die Tür zur Praxis stand offen. Ein heller Lichtkegel schnitt sich in den Boden des dunklen Ganges. Sandra zog mich in den Praxisraum und schien erst jetzt meine Verletzung am Bein entdeckt zu haben.
»Was ist das?«, fragte sie und bestätigte meinen Verdacht, dass sie tags zuvor nicht in der Praxis war.
Ich humpelte zu einem der Stühle und setzte mich. »Eine Schussverletzung. Sandra, ich … «
»Was?« Sie fiel vor mir auf die Knie und fasste nach meiner Hand. »Was zum Teufel ist passiert?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie starrte mich mit großen Augen an.»Was heißt du weiß es nicht ?«
»Ich kann mich an nichts erinnern!«, sagte ich und merkte, wie meine Stimme laut wurde. Lauter als ich es wollte. Ich versuchte, einen ruhigen Tonfall zu finden. »Ich kann mich an nichts erinnern«, wiederholte ich leiser. »Ich bin in diesem verfluchten Motel aufgewacht und hatte keine Ahnung, wer ich bin. Ich wusste nichts mehr. Gar nichts.«
»Gar nichts?« Sandras Stimme klang traurig.
Ich schüttelte den Kopf und blickte ihr fest in die Augen. Sie waren nass. Ihre Lippen zuckten.
»Auch nicht … « Sie stockte.
»Nein, ich erinnere mich auch nicht an dich .«
Sie nickte langsam, als versuchte sie, mich zu verstehen. Meine Situation, meine Verzweiflung, meine Hoffnungslosigkeit. Doch sie würde es nicht verstehen. Ich verstand es doch selbst nicht.
»Aber das ist jetzt nicht so wichtig«, sagte ich. »Patricia White. Ich habe ihr Tagebuch gelesen. Sie ist in Gefahr. Eddie will ihr etwas antun!«
Sandra schüttelte den Kopf. Langsam. Tränen rannen über ihre Wange. »Jack, … » Sie räusperte sich. » Niemand will Patricia White etwas antun. Sie war im Feuer. Im Haus. Sie ist tot, Jack. Verbrannt. Und niemand weiß das so gut wie du.«
17
Meine Vermutung, Sandra wäre während meines Zusammenbruchs nicht in der Praxis gewesen, hatte sich als richtig erwiesen. Ihre Assistentin war neu und kannte mich nicht. Sie hatte zwar erwähnt, dass ein Mann hier in der Praxis zusammengebrochen war, konnte aber nicht sagen, um wen es sich dabei gehandelt hatte. Die Sanitäter hatten ihr aber versichert, dass mein Zustand stabil wäre und sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, was auch erklärte, warum Sandra nicht weiter nachgefragt hatte.
Sandra hatte mir von dem Brand erzählt und obwohl es sich um meine Geschichte handelte, kam es mir vor, als hörte ich die Geschichte über jemand anderen. Jemand, den ich nicht kannte. Jemand, den ich nicht mochte. Jemand, den ich hasste.
Vor vier Tagen war ich zu einem Einsatz gerufen worden, hatte Sandra erzählt. Drüben auf Staten Island. Ein Einfamilienhaus stand in Flammen. Das Haus der Familie White. Dave und ich waren in die Flammenhölle gerannt, um Patricia und ihre Mutter herauszuholen. Dave evakuierte die Frau. Von Patricia fehlte jede Spur. Sie war nicht in ihrem Zimmer, nicht im Haus. Dann gab es eine Explosion, die ich wie durch ein Wun der beinahe unbeschadet überstanden hatte.
Am Morgen nach dem Brand kam ein Beamter der Brandbehörde in das Department. Sie hatten das Mädchen gefunden. In ihrem Zimmer. Vor dem Rollstuhl liegend. Bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Mir wurde Fahrlässigkeit vorgeworfen und der Captain suspendierte mich bis z ur Klärung des Falles .
Sandra sagte
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