Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
der Rollstuhl verschwunden.
Ein leises Zischen erfüllte die Straße. Als würde eine gigantische Gasleitung lecken. Es wurde lauter. Begleitet von einem türkisen Leuchten, das über die Straße näher kam wie ein grünblau glühender Teppich, der von unsichtbarer Hand ausgerollt wurde.
Etwas in mir drängte zur Flucht, doch dieser Schein hypnotisierte mich. Anders als in den Träumen war die Intensität durchdringender. Das Leuchten wurde heller, blendete beinahe, reflektierte am Glas der Fenster und schoss in hellen Strahlen in die Nacht. Selbst die Sterne verblassten neben dem gleißenden Schein . Die ganze Welt musste in diesem Moment den Atem anhalten und fasziniert den türkisen Strahlenkranz bewundern, der von New York City in die Weiten des Weltalls geworfen wurde.
Das Zischen schien von überall her zu kommen. Wie ein tausendfaches Echo wurde es von H auswand zu Hauswand geworfen und schien sich selbst zu vervielfachen. Erst als das Leuchten noch knapp zwanzig Meter von mir entfernt war, erkannte ich, dass es nicht ein Zischen war. Es waren tausende. Millionen. Verursacht von türkis leuchtenden Schlangen, die mit züngelnden Mäulern auf mich zu krochen.
Rotglühende Augen starrten mich aus den hornigen Schädeln an. Scharfe Zähne glänzten nass. Die Zungen schienen von Blut benetzt und wurden mir gierig entgegen gestreckt.
»Any!«, brüllte ich und blickte mich um. »Any! Hilf mir!«
Die kleine Schlampe ist tot, Jack. Das Einzige, was dir jetzt noch helfen kann, ist – rennen. Lauf um dein erbärmliches Leben!
Das Licht wurde heller, blendete mich. Die ersten Schlangen waren noch fünf Meter von mir entfernt. Aus dem Zischen wurde ein Fauchen, gemischt mit lautem Krächzen , als würden verschlungene Krähen aus dem Inneren der Reptilien um ihr Leben kreischen . Weit aufgerissene Mäuler schnappten nach mir. Ich stolperte rückwärts, drehte mich um und rannte los.
Mein Körper warf einen langen Schatten, der mit jedem zurückgelegten Meter schwächer wurde. Der rechte Oberschenkel beantwortete jede Belastung mit einem Stechen, als steckte ein Skalpell in meinem Bein, das Schritt für Schritt tiefer in das Fleisch vordrang. Das Gekreische der Schlangen hatte an Lautstärke zugenommen, wirkte zornig und schmerzte in meinen Ohren.
Ich bog in eine Querstraße, die nach dem gleißenden Licht wie ein schwarzes Loch wirkte. Ich konnte nicht erkennen, ob vor mir Hindernisse waren. Zäune, Mauern, Feuerleitern. Dinge, die mi ch stürzen lassen konnten. E in Sturz würde das Ende meiner Flucht bedeuten . Weiß Gott, was dann mit mir passieren würde.
Das Schwarz blieb. Abgesehen von der Sturzgefahr beruhigte es mich, denn es bedeutete, dass diese Bestien noch nicht in die Straße eingebogen waren.
Als ginge hinter mir eine türkise Sonne auf, fiel schwaches Licht auf den Asphalt. Nur mein Schatten blieb schwarz. Die Schritte hallten und obwohl ich versuchte, mein Tempo zu erhöhen, meinte ich zu hören, wie die Schrittfrequenz abnahm. Wie von gigantischen Scheinwerfer n beleuchtet war die Straße plötzlich taghell. Mein Schatten reichte fast bis zum Ende der Straße. Ich bog links ab .
Wieder tiefes Schwarz. Doch dieses Mal dauerte es nicht mehr so lange , bis die Sonne aufging, und das Kreischen mein Gehirn malträtierte. Ich bog wiederum ab. Stolperte. Stürzte. Versuchte mi ch aufzurichten. Kippte zur Seite . Blendender türkiser Schein kam nun auch von vorne auf mich zu. Hinter mir gellende Schreie.
Ich robbte zur Hauswand, lehnte den Rücken dagegen und presste die Hände gegen meine Ohren.
Die Schlangen krochen von allen Seiten auf mich zu. Sie fielen von den Häusern auf die Straße, schlängelten aus Fenstern und Türen, aus Regenrinnen und Kanalschächten. Ich spürte sie an meinen Beinen, meinem Bauch, meine r Brust. Sie zischten laut auf, während sie unter meinem T-Shirt verschwanden .
Ich brüllte, als ich die Zähne auf meiner Haut spürte. Wie winzige Messer schnitten sie in mein Fleisch. Wieder und wieder. Würde Gott Gnade kennen, hätte er mich das Bewusstsein verlieren lassen. Aber für mich gab es keine Gnade. Ich musste diese Qualen erleiden und mit ansehen, wie Stück für Stück meines Körpers in den Schlünden verschwand.
Ich brüllte abermals laut auf. Vor Ekel, vor Entsetzen u nd unvorstellbarem Schmerz.
Dann sah ich die Menschen, die an mir vorübergingen, mich kurz ansahen und den Kopf schüttelten. Mein Körper zuckte, selbst, nachdem ich registriert hatte,
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