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Das Tal Bd. 7 - Die Jagd

Das Tal Bd. 7 - Die Jagd

Titel: Das Tal Bd. 7 - Die Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Methoden, die Halluzinationen zu stoppen, versagen. Ich zähle bis hundert, murmele ganze Filmdialoge, ich summe wie ein Wahnsinniger die Melodie von Incy Wincy Spider rauf und runter, aber nichts hilft, ganz im Gegenteil, jetzt erscheinen zahllose Spinnen und weben ihre Netze von einer Wand zur anderen. Ich spüre die seidigen Fäden an meiner Haut und frage mich, wie lange sie brauchen werden, um mich ganz einzuhüllen in ihren Kokon aus Fäden. Okay, okay, ich gebe auf. Lasse die Bilder kommen. Wehre mich nicht mehr. Dass ich mit mir selbst rede, kapiere ich erst, als Chris immer noch fluchend am Türgriff zieht.
    »Führst du da drinnen Selbstgespräche?«
    Ich drehe den Wasserhahn der Dusche auf. Eiskaltes Wasser stürzt auf mich herunter. Nun spaltet sich der Boden. Nicht fallen. Nur nicht fallen. Vorsichtshalber ducke ich mich, kauere mich an die Wand, die sich unter meinem Gewicht windet.
    »Ben! Alles in Ordnung, Ben? Ben? Antworte!«
    Das Echo von Davids Rufen verebbt. Auch er schafft es nicht, mich zurückzuholen.
    Meine Finger krallen sich an die scharfkantigen Ränder der Fliesen, die sich wie Drähte anfühlen. Vergeblich. Unfähig, meinen Griff zu steuern, gleiten meine Hände ab, ich greife ins Leere. Ich muss lachen, denn das erinnert mich an Mr Spock, unseren knallroten Kater in Little Rock, der davon besessen war, Fliegen zu fangen. Ein wiederholtes, sinnloses Grapschen.
    Wie er gebe ich nicht auf. Und tatsächlich verändert sich etwas. Meine Arme ziehen sich in die Länge, das sieht ziemlich lustig aus. Obwohl mir die Angst die Luft abschnürt, muss ich erneut lachen. Irgendwie muss ich diesen Scheißzaun doch zu fassen kriegen.
    Der Unterschied zwischen einem echten Trip und dieser Horrorshow ist mir völlig klar. Ich weiß, was passiert. Ich kenne das Szenarium. Ich bin bei vollem Bewusstsein. Und auch, als ich einen Draht erwische, begreife ich. Das Blut, das von meinen Handflächen nach unten rinnt, ist nicht echt, nur Fake. Alles lediglich eine surreale Kopfgeburt. Zumindest glaube ich das. Beweisen könnte ich es nur, wenn ich diese Fuckkamera tatsächlich dort oben installiert hätte. Dort oben, wo gerade das Dach wegfliegt und ich in einen Schacht starre, der bis in den Himmel reicht. Dann gelingt es mir, mit der linken Hand den Draht zu fassen, der die Grenze zur Sperrzone hinter dem Bootshaus markiert. Ich wende alle Kraft auf, um ihn zu mir zu ziehen. Achtung, Ben. Wenn er zurückschnellt, wird er dich mit sich reißen. Ich lasse nicht los, kralle mich fest, bis meine Fingernägel sich nach oben biegen.
    Vor Anstrengung schwitze ich. Kalter Schweiß rinnt mir vom Nacken aus den Rücken hinunter. Du schaffst es, murmele ich, du schaffst es. Ich höre mich an wie Ronnie, als wir damals versuchten, den Jungs, die mich terrorisierten, zu entfliehen. Wir retteten uns über den Zaun, der den Schrottplatz von Mr Kowalski von der Wohnwagensiedlung trennte, in der Ronnie mit seiner Mutter lebte.
    »Kriech unten durch«, hatte Ronnie geschrien. »Schnell. Sie kommen.«
    Scheiße, der Draht schneidet mir die Finger ab, aber immer noch besser, als dass sie mich totprügeln, wie sie es angekündigt haben. Ich höre ihre Rufe. »Faggy«, beschimpfen sie mich. »Faggy-Boy!«
    Am ganzen Körper klatschnass schiebe ich mich durch die Drähte.
    Ronnie zieht mich hinter einen zerbeulten Cadillac. Geduckt rennen wir an ausgehöhlten Karosserien vorbei, bis wir in einem krassblauen Chevrolet aus den Siebzigern ein Versteck finden.
    Filmschnitt. Nächster Clip.
    Vor mir liegt der Abgrund.
    Ein gelblicher Fleck, ein heller Schimmer inmitten der blaugrauen, zerwühlten Fläche. Der Wind reißt Krater in die weiße Gischt des Lake Mirror, bevor er sie wieder zu hohen Säulen aufbäumt.
    Ich weiche zurück. Renne davon. Fliege über die weiße Einöde. Ein stechender Schmerz lässt mich aufschreien, als ich mich durch ein hohes Gestrüpp zwänge. Und atme auf, als ich den Holzsteg am Bootshaus erkenne.
    Sobald ich die Hütte betrete, beruhige ich mich, gehe in die Knie und lehne den Kopf an die Wand, zwischen deren Brettern sich breite Spalten ziehen. So bleibe ich sitzen, bis sich meine Brust gleichmäßig hebt und senkt.
    Ich bin in Sicherheit und gleite hinüber in einen Schlaf, der alle Bilder löscht, bis eine Stimme mich wieder herausreißt.
    »Ich habe dich gesucht«, flüstert sie mir ins Ohr.
    Ich fahre herum.
    Da – in einer Ecke des Bootshauses lauert er. Der Schattenmann. Nur schwer zu erkennen,

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