Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
Welt, die sie sich aufgebaut hatte, das Tal, in dem sie Zuflucht gefunden hatte … all das war dabei, sich selbst zu zerstören.
Ihr blieb nur noch ein kleines, ein winziges, ein Mikrozeitfenster, um ihre Pläne umzusetzen.
Wir sind erst tot, wenn wir sterben.
Robert hatte das gesagt.
Der Gedanke jagte ihr Angst ein. Die anderen konnten sagen, was sie wollten. Irgendetwas ging dort draußen in der Welt vor sich. Und das Tal zeigte sein wahres Gesicht.
Aber sie musste die Panik unter Kontrolle bringen. Sie wollte alles wissen. Alles. Und wenn sie es mitnehmen würde ins Grab. Ein Grab, das nicht aussehen würde wie die auf der Lichtung beim Gedenkstein, auf dem Friedhof, den Rose, die romantische Rose, mit Blumen schmückte, um der Toten zu gedenken.
Und Wissen – das hieß, Angela Finders Erbe endgültig anzutreten. Angela Finder musste als Erstes hier im Tal oben ihr Leben lassen, weil sie den Schlüssel in der Hand gehalten hatte. Davon war Debbie schon seit Langem überzeugt.
Sich im CD aufzuhalten, das bedeutete für Debbie das Schlimmste überhaupt. Sie konnte die Anzeichen schon spüren. Das Gefühl, als ob sich ihre Haut ablöste und von ihr wegschwebte wie ein Blatt, eine ganze Wolke von Ahornblättern, die mit einem Windstoß von den Ästen gelöst und in alle Richtungen geweht wird.
Angst. Angst. Angst.
Es gelang ihr nicht, frische Luft in ihre Lungen zu pressen. Bilder drängten sich in ihrem Kopf. Die Erinnerungen an Alex Cooper. Sie hatte ihn geliebt und er – er hatte sie umbringen wollen. Und er war der Mörder von Angela Finder.
Angela Finder war das weibliche Genie in der Welt der Hacker gewesen. Ihr Name geisterte immer noch durch das Netz. Und sie hatte das Wissen besessen. Vielleicht verglühte die Erde, vielleicht würde sie, Debbie, zu einem erloschenen Punkt in der Milchstraße, die unendlich war. Aber Debbie wollte erst gehen, wenn sie dieses Erbe angetreten hatte. Ihr blieben vielleicht nicht mehr als achtundvierzig Stunden.
Aber die gehörten ihr.
Die Geister, die hier unten waren, die Geheimnisse – sie würde sich ihnen stellen. Entschlossen wandte sie sich um, schloss die Tür hinter sich, drehte den Schlüssel zweimal herum und ließ ihn stecken. Sie würde diesen Raum erst verlassen, wenn sie mit Angela Finder ihren Frieden geschlossen hatte.
Ihre Hände griffen ineinander, lösten sich wieder und erneut begann sie, sich am linken Handgelenk zu kratzen, wo die Haut immer weiter aufriss. Sie ließ das Blut einfach laufen. Es war ein gutes Zeichen. Das Zeichen, dass sie lebendig war.
Sie zog ihre Notfallmedikamente aus dem Seitenfach der Tasche und schluckte eine … nein, besser zwei der Beruhigungspillen. Als sie im Hals stecken blieben, hatte sie das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Doch sie gab lediglich einige Würgegeräusche von sich, weshalb sie eine halbe Dose Cola hinterherschob und einen Schokoriegel.
Danach fühlte sie sich besser.
Debbie wartete ein paar Minuten und spürte die Entspannung in jeder Faser ihres Körpers. Ja, das war besser. Viel besser. Und dieses Gefühl verstärkte sich, als sie sich nun durch die Tischreihen schob und einen Computer nach dem anderen zum Laufen brachte. Das Geräusch beim Hochfahren des Systems und das Blinken der Bildschirme ließen für einige Sekunden Euphorie aufkommen. Wie toll wäre es, wenn sie nur die Hand zu heben bräuchte. Sie würde auf einen der Bildschirme deuten und allein durch die Macht ihres Willens – jede Information erhalten, die sie wollte.
Sie nahm in der vordersten Reihe Platz, wo es möglich war, sich über ihr Notebook in das Hochschulnetz einzuloggen. Dann musste sie es nur noch so konfigurieren, dass er alle anderen Rechner steuerte. Nun war sie Herrin über fünfundzwanzig Rechner, die nach ihrem Willen funktionierten oder besser nach dem Prinzip von Brute Force, einer Software, die bei kurzen einfachen Passworten anstandslos ihren Dienst tat. Debbie hatte monatelang an dem Programm herumgefeilt und war Angela nun dicht auf den Fersen. Sieben Walls hatte sie bereits überwunden, um immer wieder auf einen weiteren Schutzwall zu treffen.
Während endlose Programmzeilen über die Bildschirme jagten, öffnete Debbie mit lautem Zischen die zweite Dose, die überschäumte und auf ihre Strumpfhose spritzte. Egal. Debbie überlegte einen Moment, klickte dann im Verzeichnis Grace Chronicle eine neue Textdatei auf und begann zu schreiben.
Am Vormittag hat Prof. Dr. Walden offiziell
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