Das Tal der Angst
ist’n Boss von den Scowrers.«
»Scowrers! Von denen hab ich schon gehört. Scowrers hier und Scowrers dort, und immer nur im Flüsterton. Wovor habt ihr alle bloß Angst? Wer
sind
diese Scowrers?«
Der Pensionswirt senkte unwillkürlich die Stimme; wie jeder, der von dieser schrecklichen Gesellschaft sprach.
»Die Scowrers«, sagte er, »das ist der Ehrwürdige Orden der Freimaurer.«
Der junge Mann sprang auf.
»He, ich bin selbst ein Mitglied des Ordens.«
»Sie! Wenn ich das gewußt hätt, dann hätt ich Sie nie in mein Haus gelassen – und wenn Sie mir hundert Dollar die Woche zahlen würden.«
»Was stimmt denn nicht mit dem Orden? Er steht doch für Wohltätigkeit und gute Kameradschaft. So lauten die Regeln.«
»Vielleicht anderswo. Nicht hier!«
»Was ist er denn hier?«
»Ein Mörderverein, das ist er.«
McMurdo lachte ungläubig.
»Wie wollen Sie das beweisen?« fragte er.
»Beweisen! Gibt’s nich fünfzehn Morde, die’s beweisen? Was ist mit Milman und Van Shorst und Familie Nicholson und dem alten Mr. Hyam und dem kleinen Billy James und den andern? Beweisen! Gibt’s denn in dem Tal hier einen Mann oder eine Frau, wo da nicht von Bescheid wissen?«
»Hören Sie!« sagte McMurdo ernst. »Ich will, daß Sie zurücknehmen, was Sie gesagt haben, oder daß Sie dafür geradestehen. Eines von beiden müssen Sie tun, ehe ich diesen Raum verlasse. Versetzen Sie sich doch in meine Lage. Ich bin fremd hier in der Stadt. Ich gehöre einer Vereinigung an, die ich nur als unbescholtene kenne. Man findet sie landauf und landab in den Staaten; aber überall ist sie unbescholten. Und jetzt, wo ich gerade vorhabe, mich ihr hier anzuschließen, erzählen Sie mir, daß sie gleichbedeutend mit einem Mörderverein namens ›Scowrers‹ ist. Ich schätze, Sie schulden mir entweder eine Entschuldigung oder eine Erklärung, Mr. Shafter.«
»Ich kann Ihnen bloß sagen, was eh schon die ganze Welt weiß, Mister. Die Bosse von die einen sind die Bosse von die andern. Wer die einen ärgert, den hauen dann die andern. Das hat sich schon zu oft erwiesen.«
»Das ist nur Geschwätz! Ich will Beweise!« sagte McMurdo.
»Wenn Sie man länger hier leben, werden Sie Ihren Beweis schon noch kriegen. Aber ich vergeß ja ganz, daß Sie selber einer von denen sind. Sie werden bald so schlimm sein wie der Rest. Sie müssen schon ‘ne andere Bleibe suchen, Mister. Hier kann ich Sie nicht behalten. Ist schon schlimm genug, daß einer von die Leut herkommt und meiner Ettie den Hof macht und daß ich mich nich trau, ihn ordentlich abzukanzeln; aber daß ich noch einen als Gast haben soll? Ja, wirklich, das ist die letzte Nacht, wo Sie hier schlafen!«
So sah sich McMurdo zur Verbannung verurteilt – sowohl aus seinem behaglichen Quartier als auch aus der Nähe des Mädchens, das er liebte. Am selben Abend noch traf er sie alleine im Wohnzimmer und schüttete ihr sein Herz aus.
»Doch, Ihr Vater hat mir eben gekündigt«, sagte er. »Wenn es nur um das Zimmer ginge, würde mir das wenig ausmachen; aber Sie, Ettie! Wenn ich Sie auch erst eine Woche kenne, so sind Sie doch meine wahre Lebensluft, und ohne Sie kann ich nicht leben.«
»Oh, still, Mr. McMurdo! So dürfen Sie nicht sprechen!« sagte das Mädchen. »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie zu spät kommen, oder nicht? Es gibt einen anderen, und wenn ich ihm auch nicht versprochen habe, ihn gleich zu heiraten, so kann ich es doch keinem anderen versprechen.«
»Angenommen, ich wäre als erster gekommen, Ettie; hätte ich dann eine Chance gehabt?«
Das Mädchen barg das Gesicht in den Händen.
»Ich wünsche beim Himmel, Sie
wären
der erste gewesen«, schluchzte sie.
Im Nu war McMurdo vor ihr auf den Knien.
»Um Gottes Willen, Ettie, bleib dabei!« rief er. »Willst du dein und mein Leben ruinieren, nur wegen diesem Versprechen? Folge doch deinem Herzen, acushla 26 ! Es ist ein besserer Führer als jedes Versprechen, das du gegeben hast, ohne zu wissen, was du sagst.«
Er hielt Etties weiße Hand zwischen seinen kräftigen braunen Händen.
»Sag, daß du mein bist, und wir fechten es gemeinsam aus!«
»Doch nicht hier?«
»Doch, hier.«
»Nein, nein, Jack!« Nun hielt er sie in den Armen. »Hier geht es nicht. Kannst du mich denn nicht fortbringen?«
Einen Augenblick lang kämpfte es in McMurdos Gesicht; schließlich wurde es fest wie Granit.
»Nein, hier«, sagte er. »Ich halte dich fest, Ettie – gegen die ganze Welt, genau hier, wo wir
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