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Das Tal der Angst

Das Tal der Angst

Titel: Das Tal der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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reizvollem Kontrast dazu stand ein Paar schöner, dunkler Augen, mit denen sie den Fremdling überrascht und anmutig verlegen musterte, wobei eine Welle von Farbe über ihr blasses Antlitz ging. Eingerahmt vom hellen Licht der offenen Tür stand sie da, und McMurdo schien es, als hätte er noch nie ein schöneres Bild gesehen, zumal sein Kontrast zu der schmutzigen und düsteren Umgebung es noch anziehender machte. Ein auf jenen schwarzen Schlackenhalden bei den Minen wachsendes liebliches Veilchen wäre keine wundersamere Erscheinung gewesen. Er war so hingerissen, daß er sie wortlos anstarrte; sie war es, die schließlich das Schweigen brach.
    »Ich dachte, es sei Vater«, sagte sie mit einem angenehmen Anflug eines deutschen Akzentes. »Wollen Sie zu ihm? Er ist in der Stadt. Ich erwarte ihn aber jede Minute zurück.«
    McMurdo blickte sie noch immer in offener Bewunderung an, bis sie verwirrt die Augen senkte vor diesem unverschämten Besucher.
    »Nein, Miss«, sagte er endlich; »ich muß nicht gleich zu ihm. Aber Ihr Haus wurde mir als Pension empfohlen. Ich hatte zwar vermutet, daß es mir zusagt; aber jetzt weiß ich es sicher.«
    »Sie sind ja schnell in Ihren Entschlüssen«, sagte sie lächelnd.
    »Nur ein Blinder wäre das nicht«, erwiderte er.
    Sie lachte über das Kompliment.
    »Kommen Sie doch herein, Sir«, sagte sie. »Ich bin Miss Ettie Shafter, die Tochter von Mr. Shafter. Meine Mutter ist tot, und ich besorge das Haus. Sie können sich im Vorderzimmer an den Ofen setzen, bis Vater kommt. Ach, da ist er ja schon; jetzt können Sie mit ihm gleich alles regeln.«
    Ein schwerfälliger, ältlicher Mann kam den Weg heraufgestapft. Mit wenigen Worten erklärte McMurdo sein Anliegen. Ein Mann namens Murphy habe ihm in Chicago die Adresse gegeben. Der habe sie wiederum von jemand anderem. Der alte Shafter war mit allem einverstanden. Der Fremde fand am Mietzins nichts auszusetzen, stimmte allen Bedingungen sofort zu und hatte offenbar ziemlich viel Geld. Für zwölf Dollar die Woche, zahlbar im voraus, sollte er Kost und Logis erhalten. So geschah es, daß McMurdo, nach eigenem Bekenntnis ein Flüchtling vor dem Gesetz, unter dem Dach der Shafters Wohnung nahm – der erste Schritt, der zu einer so langen und dunklen Folge von Ereignissen führen und in einem fernen Land enden sollte.
9. Der Logenmeister
    McMurdo war ein Mann, der sich schnell einen Namen machte. Wo immer er sich aufhielt, war dieser Name bald bei allen Leuten bekannt. Innerhalb einer Woche war er bei Shafter’s zur weitaus wichtigsten Person geworden. Zehn oder zwölf Gäste wohnten dort; aber der junge Ire hatte ein ganz anderes Kaliber als diese biederen Vorarbeiter oder einfachen Ladenangestellten. Wenn sie abends zusammensaßen, waren seine Witze immer die gelungensten, seine Gespräche die muntersten und seine Lieder die besten. Er war der Inbegriff des lustigen Kumpans, und seine Ausstrahlung versetzte alle um ihn herum in gute Laune.
    Andererseits zeigte sich immer wieder, wie damals im Eisenbahnwagen, eine Neigung zu wildem Jähzorn, der diejenigen, die mit ihm zusammenstießen, zu Respekt und sogar Furcht nötigte. Zudem legte er gegenüber dem Gesetz und allem, was damit zusammenhing, eine bittere Verachtung an den Tag, was einige seiner Mitbewohner ergötzte und andere beunruhigte.
    Von Anfang an ließ er durch seine offene Bewunderung erkennen, daß die Tochter des Hauses von dem Augenblick an, da er ihre Schönheit und Anmut gesehen, sein Herz gewonnen hatte. Er war kein schüchterner Freier. Schon am zweiten Tag gestand er ihr, daß er sie liebe, und von da an wiederholte er diese Worte immer wieder, ohne im geringsten darauf zu achten, was sie erwidern mochte, um ihn zu entmutigen.
    »Ein anderer!« pflegte er zu rufen. »Na gut, Pech für den anderen! Muß er eben sehen, wie er zurechtkommt! Soll ich die Chance meines Lebens und die ganze Sehnsucht meines Herzens opfern für einen anderen? Sie können ruhig weiter ›Nein‹ sagen, Ettie! Der Tag wird kommen, da sagen Sie ›Ja‹, und ich bin noch jung genug, zu warten.«
    Er war ein gefährlicher Freier, mit seiner gewandten irischen Zunge und seiner netten, schmeichelnden Art. Zudem umgab ihn jener Zauber von Erfahrung und Geheimnis, der das Interesse und schließlich die Liebe einer Frau weckt. So sprach er zum Beispiel von den lieblichen Tälern der Grafschaft Monaghan, aus der er stammte, von der herrlichen fernen Insel, ihren sanften Hügeln und grünen Wiesen,

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