Das Tal der Angst
oder bei Nacht. Daß ihr euch da bloß keine falschen Vorstellungen macht.«
Angesichts dieses unerschrockenen Auftretens des Neulings erhob sich unter den Bergleuten zustimmendes und bewunderndes Gemurmel, während die beiden Polizisten die Achseln zuckten und ihre Unterhaltung wieder aufnahmen. Ein paar Minuten später fuhr der Zug in den schlecht beleuchteten Bahnhof ein, und die meisten Fahrgäste stiegen aus, denn Vermissa war die größte Ortschaft an der Strecke. McMurdo nahm seine lederne Reisetasche auf und wollte eben in die Dunkelheit hinaustreten, als ihn einer der Bergleute ansprach.
»Weiß Gott, Kumpel! Du kannst mit den Cops umgehen«, sagte er ehrfürchtig. »Das war ja toll. Komm, ich trag deine Tasche und zeig dir den Weg. Shafter’s liegt sowieso auf dem Weg zu meiner Bude.«
Als sie den Bahnsteig überquerten, ertönte von den anderen Bergleuten ein Chor freundlicher Gute-Nacht-Wünsche. Noch ehe er den Fuß hineingesetzt hatte, war der stürmische McMurdo in Vermissa bereits ein Begriff.
War schon die Umgebung ein Ort des Schreckens gewesen, so wirkte die Stadt auf ihre Weise sogar noch deprimierender. Mit seinen riesigen Feuern und den Wolken dahinziehenden Rauches hatte das langgestreckte Tal wenigstens noch eine gewisse düstere Grandezza, und die Hügel, die man neben den monströsen Gruben aufgeschüttet hatte, stellten ein passendes Monument für die Kraft und den Unternehmungsgeist des Menschen dar. Die Stadt aber bot ein totes Einerlei von schäbiger Häßlichkeit und Verwahrlosung. Die Hauptstraße war vom Verkehr zu einem grauenhaften Lehm-und Schnee-Matsch zerfurcht. Die Bürgersteige waren eng und holprig. Die zahlreichen Gaslampen dienten lediglich dazu, eine lange Zeile von Holzhäusern, deren jedes eine Veranda zur Straße hatte, in ihrer Ungepflegtheit und Verdrecktheit ins Licht zu rücken. Erst als die beiden sich dem Stadtzentrum näherten, heiterte sich die Szene auf durch eine Reihe hell erleuchteter Läden und mehr noch durch eine Anhäufung von Saloons und Spielhäusern, in denen die Bergleute ihre hart verdienten, aber üppigen Löhne ausgaben.
»Das ist das Union House«, sagte McMurdos Führer; er deutete auf einen Saloon, der fast schon die Würde eines Hotels ausstrahlte. »Jack McGinty ist dort der Boss.«
»Was ist das eigentlich für ein Mann?« fragte McMurdo.
»Was! Hast du noch nie vom Boss gehört?«
»Wie kann ich von ihm gehört haben, wo du doch weißt, daß ich hier fremd bin?«
»Naja, ich dachte, sein Name ist quer durch die ganzen Staaten bekannt. Er hat ja oft genug in den Zeitungen gestanden.«
»Weswegen denn?«
»Naja« – der Bergmann senkte die Stimme –, »von wegen der Geschäfte.«
»Was für Geschäfte?«
»Du lieber Gott, Mister, ich will dich ja nicht beleidigen, aber du bist schon ein komischer Vogel. Hier gibt’s nur eine Sorte Geschäfte, und das sind die Geschäfte der Scowrers.«
»Ach richtig, ich glaube, ich habe in Chicago schon was über die Scowrers gelesen. Eine Mörderbande, oder nicht?«
»Still, bist du lebensmüde!« rief der Bergmann, blieb stehen vor Schreck und starrte seinen Gefährten bestürzt an. »Mann, du wirst hier nicht lange leben, wenn du auf offener Straße sowas sagst. Manch einer ist schon für weniger zu Tode geprügelt worden.«
»Ja, aber ich weiß doch gar nichts über sie. Ich hab das bloß gelesen.«
»Und ich sag ja nicht, was du gelesen hast, sei nicht die Wahrheit gewesen.« Der Mann sah sich nervös nach allen Seiten um, während er sprach; er spähte in die Dunkelheit, als fürchtete er, eine lauernde Gefahr zu entdecken. »Wenn Töten Mord ist, dann gibt’s hier, weiß Gott, Mord in Hülle und Fülle. Aber untersteh dich, Fremder, den Namen von Jack McGinty im Zusammenhang damit auch nur zu hauchen; jedes Flüstern wird ihm nämlich zugetragen, und er ist keiner, der so was durchgehen läßt. So, hier ist das Haus, das du gesucht hast – das, was von der Straße etwas zurückversetzt ist. Du wirst sehen, der alte Jacob Shafter, der’s betreibt, ist so ehrlich wie nur irgendeiner in diesem Ort.«
»Danke«, sagte McMurdo, schüttelte seinem neuen Bekannten die Hand, nahm die Reisetasche wieder auf und stapfte den Weg hinauf zu dem Wohnhaus, wo er laut an die Tür klopfte. Sie wurde sogleich geöffnet von einer ganz anderen Person, als er erwartet hatte.
Es war eine Frau, jung und von einzigartiger Schönheit. Sie gehörte zum deutschen Typ 25 , helle Haut und blonde Haare; in
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