Das Tal der Angst
bewaldeten und weißbemützten Bergketten, die es begrenzen. McMurdo schlenderte den gewundenen, von Immergrünhecken gesäumten Pfad hinauf, bis er das verlassene Restaurant erreichte, welches das Zentrum des sommerlichen Frohsinns bildet. Daneben stand eine nackte Fahnenstange, und darunter ein Mann – den Hut in die Stirn gezogen und den Mantelkragen hochgeschlagen. Als er ihm das Gesicht zuwandte, erkannte McMurdo in ihm Bruder Morris, der sich in der Nacht zuvor den Zorn des Logenmeisters zugezogen hatte. Beim Zusammentreffen entboten beide den Gruß der Loge.
»Ich wollte mit Ihnen reden, Mister McMurdo«, sagte der ältere Mann; er sprach zögernd, was verriet, daß er sich unsicher fühlte. »Nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind.«
»Warum haben Sie denn nicht Ihren Namen auf den Brief geschrieben?«
»Man muß vorsichtig sein, Mister. Heutzutage weiß man nie, wie die Dinge auf einen zurückfallen. Man weiß auch nie, wem zu trauen ist und wem nicht.«
»Bestimmt kann man doch den Logenbrüdern trauen?«
»Nein, nein; nicht immer«, rief Morris heftig. »Alles, was wir sagen, selbst was wir denken, scheint diesem Mann zugetragen zu werden – McGinty.«
»Hören Sie mal«, sagte McMurdo streng; »erst gestern abend habe ich, wie Sie wohl wissen, unserem Logenmeister aufrichtige Treue geschworen. Wollen Sie etwa von mir verlangen, meinen Eid zu brechen?«
»Wenn Sie das so sehen«, antwortete Morris betrübt, »dann kann ich nur sagen, daß es mir leid tut, Ihnen die Mühe bereitet zu haben, sich mit mir zu treffen. Es steht schlimm, wenn zwei freie Bürger einander nicht mehr ihre Gedanken anvertrauen können.«
McMurdo, der seinen Gesprächspartner sehr genau beobachtet hatte, lockerte ein wenig seine Haltung.
»Ich habe doch nur von meinem Standpunkt aus gesprochen«, sagte er. »Ich bin, wie Sie wissen, ein Neuling, und das alles ist mir noch fremd. Es steht mir nicht zu, Mr. Morris, den Mund aufzumachen, und wenn Sie es für richtig halten, mir irgend etwas zu sagen – hier bin ich, um es mir anzuhören.«
»Und es dann Boss McGinty zu hinterbringen«, sagte Morris verbittert.
»Also da tun Sie mir jetzt wirklich unrecht«, rief McMurdo. »Was mich angeht, so bin ich der Loge gegenüber loyal, das sage ich Ihnen ganz offen; aber ich wäre ja eine armselige Kreatur, wenn ich weitererzählen würde, was Sie mir Vertrauliches sagen wollen. Das erfahrt außer mir kein Mensch; ich mache Sie allerdings darauf aufmerksam, daß Sie möglicherweise weder Hilfe noch Sympathie bei mir finden.«
»Ich habe es längst aufgegeben, das eine oder das andere zu erwarten«, sagte Morris. »Vielleicht lege ich jetzt mit dem, was ich sage, mein Leben ganz in Ihre Hände; aber so schlimm Sie auch sind – und gestern abend sah es so aus, als ob Sie vorhätten, schlimmer als der Schlimmste zu werden –, noch ist Ihnen alles neu, und Ihr Gewissen kann noch nicht so verhärtet sein wie das der anderen. Deshalb glaubte ich, mit Ihnen sprechen zu können.«
»Schön, was haben Sie zu sagen?«
»Wenn Sie mich verraten, sollen Sie verflucht sein!«
»Ich habe doch schon gesagt, daß ich das nicht tue.«
»Dann möchte ich Sie fragen: Damals, als Sie in Chicago dem Freimaurerbund beigetreten sind und die Barmherzigkeits-und Treuegelübde abgelegt haben, ist Ihnen da je in den Sinn gekommen, daß es Sie auf den Weg des Verbrechens führen könnte?«
»Wenn Sie das als Verbrechen bezeichnen«, antwortete McMurdo.
»Als Verbrechen bezeichnen!« rief Morris mit vor Leidenschaft bebender Stimme. »Sie haben noch wenig davon gesehen, wenn Sie es anders bezeichnen können. War das ein Verbrechen, als gestern nacht ein Mann, alt genug, um Ihr Vater zu sein, geschlagen wurde, bis das Blut von seinen weißen Haaren tropfte? War das ein Verbrechen – oder wie sonst würden Sie es bezeichnen?«
»Es gibt welche, die würden es Krieg nennen«, sagte McMurdo. »Ein Krieg zweier Klassen, an dem alle beteiligt sind, so daß jeder sich durchschlägt, so gut es geht.«
»Haben Sie denn an so etwas gedacht, als Sie in Chicago dem Freimaurerbund beigetreten sind?«
»Nein, das muß ich zugeben.«
»Auch ich nicht, als ich ihm in Philadelphia beigetreten bin. Dort war er einfach ein gemeinnütziger Verein und ein Treffpunkt für Gleichgesinnte. Dann habe ich von diesem Ort hier erfahren – verflucht sei die Stunde, als ich seinen Namen zum ersten Mal hörte! – und bin hergezogen, um mich zu verbessern. Mein Gott, um mich
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