Das Tal der Angst
zu verbessern! Meine Frau und meine drei Kinder kamen mit mir. Ich eröffnete auf dem Marktplatz einen Kurzwarenladen und hatte guten Erfolg. Es sprach sich herum, daß ich Freimaurer bin, und ich wurde gezwungen, der hiesigen Loge beizutreten, genau wie Sie gestern abend. Ich bekam das Schandmal in den Unterarm und noch Schlimmeres ins Herz eingebrannt. Ich erkannte, daß ich unter dem Befehl eines finsteren Schurken stand und im Netzwerk des Verbrechens gefangen war. Was konnte ich denn tun? Jedes Wort, das ich äußerte, um die Zustände zu verbessern, wurde als Verrat aufgefaßt, genau wie gestern abend. Ich kann nicht fliehen, denn alles, was ich auf der Welt besitze, steckt in meinem Laden. Wenn ich den Bund verlasse, weiß ich wohl, daß das für mich den Tod bedeutet, und Gott weiß, was sonst noch für meine Frau und die Kinder. Oh, Himmel, es ist furchtbar – furchtbar!« Er hielt die Hände vor das Gesicht, und sein Körper schüttelte sich in konvulsivischem Schluchzen.
McMurdo zuckte mit den Achseln.
»Sie waren zu weich für das Geschäft«, sagte er. »Sie taugen nicht für solche Arbeit.«
»Ich war rechtschaffen und religiös gewesen; sie aber machten mich zu einem ihrer Verbrecher. Einmal bin ich zu einem Auftrag ausgewählt worden. Ich wußte wohl, was mir blühen würde, wenn ich mich weigerte. Vielleicht bin ich ein Feigling. Vielleicht macht mich der Gedanke an meine arme kleine Frau und die Kinder zu einem. Jedenfalls bin ich mitgegangen. Ich glaube, das wird mich für immer verfolgen. Es war ein einsames Haus, zwanzig Meilen von hier, hinter der Bergkette da drüben. Mich hatte man zur Tür abkommandiert, genau wie Sie gestern abend. Den Auftrag selbst wollten sie mir nicht anvertrauen. Die anderen gingen hinein. Als sie wieder herauskamen, waren ihre Hände bis zu den Gelenken blutig. Während wir uns entfernten, drang aus dem Haus hinter uns das Geschrei eines Kindes. Es war ein fünfjähriger Junge; er hatte mit ansehen müssen, wie sein Vater ermordet wurde. Ich bin vor Entsetzen fast ohnmächtig geworden, und trotzdem hatte ich eine kühne und lächelnde Miene zu bewahren, denn ich wußte wohl, daß sie, wenn ich es nicht täte, demnächst aus meinem Haus mit blutigen Händen herauskämen und daß es dann mein kleiner Fred wäre, der nach seinem Vater schreien würde. Aber von nun an war ich ein Verbrecher – Mitbeteiligter an einem Mord, in dieser Welt für immer verloren, verloren auch in der nächsten. Ich bin ein guter Katholik, aber der Priester wollte kein Wort mehr mit mir reden, als er hörte, daß ich ein Scowrer bin, und ich wurde aus meiner Glaubensgemeinschaft verstoßen. So steht es mit mir. Und nun sehe ich Sie den gleichen Weg beschreiten und frage Sie, wie soll das enden? Wollen Sie ebenfalls ein kaltblütiger Mörder werden, oder läßt sich das noch irgendwie verhindern?«
»Was würden Sie denn tun?« fragte McMurdo unvermittelt. »Sie würden Anzeige erstatten?«
»Gott bewahre!« rief Morris. »Wahrhaftig, schon der bloße Gedanke würde mich das Leben kosten.«
»Schon gut«, sagte McMurdo. »Ich glaube, Sie sind ein Schwächling und machen zu viel Aufhebens von der Sache.«
»Zu viel Aufhebens! Warten Sie, bis Sie hier länger gelebt haben. Schauen Sie das Tal hinunter. Sehen Sie, wie es überschattet wird von dieser Wolke aus hundert Schloten. Ich sage Ihnen, die Wolke des Mordes hängt noch dicker und tiefer über den Köpfen der Leute. Das ist das Tal der Angst – das Tal des Todes. Der Schrecken sitzt in den Herzen der Leute, von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen. Warten Sie nur, junger Mann, Sie werden es selbst noch erfahren.«
»Schön, ich werde Ihnen Bescheid geben, wenn ich mehr gesehen habe«, sagte McMurdo gleichgültig. »Eines ist allerdings schon sehr klar: Sie sind nicht der Mann für diesen Ort, und je schneller Sie verkaufen – selbst wenn Sie nur ein Zehntel von dem kriegen, was der Laden wert ist –, desto besser wird es für Sie sein. Was Sie gesagt haben, ist bei mir sicher aufgehoben, aber bei Gott! Wenn ich zu dem Schluß käme, daß Sie ein Spitzel sind …«
»Nein, nein!« rief Morris kläglich.
»Na gut, belassen wir’s dabei. Ich werde mir merken, was Sie gesagt haben, und eines Tages komme ich vielleicht darauf zurück. Ich nehme an, Ihre Worte waren freundlich gemeint. Aber jetzt will ich nach Hause.«
»Ein Wort noch, bevor Sie gehen«, sagte Morris. »Man könnte uns zusammen gesehen haben. Vielleicht will man
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