Das Tal der Hundertjährigen
gefragt, ohne Erfolg. Für ihn Grund genug, sich schmollend auf den langen Heimweg zu machen. Ich sehe ihn in einer Seitenstraße
verschwinden.
|140| Ein Taxi ist schnell gefunden, ich hole ihn ein und biete ihm an, ihn mitzunehmen. Dann befolge ich Lenins Rat und komme ohne
Umschweife auf sein Lieblingsthema zu sprechen: Frauen.
Segundo Guerra ist achtundneunzig, und Frauen sind ganz offensichtlich das einzige Thema, das ihn interessiert und worüber
er bereit ist zu sprechen. In epischer Breite berichtet er mir von seinen Heldentaten und stellt klar, dass das Alter seiner
Männlichkeit keinen Abbruch getan hat. Nun gut. Aber ich begreife nicht, warum er permanent schlechter Laune ist, wo er anscheinend
so einen Schlag bei Frauen hat. Das müsste ihn doch beflügeln.
Wenn man über viele Frauen redet, ist es, als redete man über keine. Mit anderen Worten: Unser Gespräch ist wenig ergiebig
und bewegt sich auf Stammtischniveau. Segundo Guerra scheint mehr daran gelegen zu sein, mit Großtaten zu prahlen, als den
eigentlichen Moment zu genießen. Als ginge es vor allem darum, nach getaner Arbeit das Werk auszustellen. Ich weiß nicht,
ob er die einhundertdreißig erreicht, aber wenn er all die Eroberungen noch machen will, von denen er schwärmt, wird die Zeit
selbst dann allmählich knapp.
Als Nächstes werde ich Doktor Carol Rosin kennenlernen, die Besitzerin des Madre Tierra. Sie ist aus Kalifornien zurückgekehrt.
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Wie würde das Treffen mit der Besitzerin des Madre Tierra verlaufen? Allmählich war ich ja auch gespannt darauf.
An der Rezeption hängt ihr Bild. Alabasterfarbene Haut, große Augen, wallende platinblonde Mähne. Eine Schauspielerin im afrikanischen
Urwald. Das Foto ist schon ein paar Jahre alt, doch Carol Rosin kann sich auch mit über sechzig durchaus noch sehen lassen.
Mit der schwarzen Kleidung und dem hellen Haar ist sie eine auffällige Erscheinung. Ein paar Tage zuvor hatte ich ein wenig
über sie recherchiert, das war nicht weiter schwierig. Offenbar eine beeindruckende Frau, die das Publikum anzieht.
In Vilcabamba müssen überhaupt starke magnetische Kräfte wirken: Der Ort lockt die unterschiedlichsten Menschen an. Bei einem
Spaziergang auf einem der Höhenwege hatte ich ein riesiges rundes Haus mit einer weißen Kuppel und mehreren massiven Säulen
im Eingangsbereich entdeckt. |142| Aus der Ferne erinnerte mich die Architektur an das Kapitol. Mein erster Gedanke war, da hat sich wohl ein Millionär einen
bescheidenen Altersruhesitz errichtet. Doch der erste Eindruck trügt. Das Faszinierende ist nicht das Haus, sondern das, was
sich darunter befindet: ein atomsicherer Bunker. Ich war sprachlos, doch Lenin hatte noch ein weiteres pikantes Detail auf
Lager.
»Da lebt ein General der Streitkräfte der Vereinigten Staaten.«
»Im Dienst?«
»Nein, im Ruhestand.«
Dass sich ein ehemaliger General des mächtigsten Heeres der Welt einen atomsicheren Bunker baut, bereitet mir Unbehagen. Man
mag sich gar nicht vorstellen, über welche Informationen dieser Mann verfügt, in welche Geheimnisse er eingeweiht war. Falls
es aus reinem Verfolgungswahn geschah, jagt einem noch im Nachhinein ein Schauer über den Rücken bei der Vorstellung, dass
der Kerl einmal eine solche Machtposition besaß und den Einsatz von verheerenden Waffen befehligte.
Auf dem Weg zu dem Anwesen von Carol Rosin kommt man am Haus von Brian O’Leary vorbei. O’Leary war seinerzeit Wissenschaftsastronaut
der NASA im Apollo-Programm und lehrte an den Universitäten von Cornell, Princeton und |143| Berkeley. Es heißt, er habe die Regierung bezichtigt, Kontakte zu Außerirdischen zu vertuschen. Außerdem habe er die Echtheit
der Fotos von der Mondlandung der Apollo 11 angezweifelt und angedeutet, sie könnten in einem Studio entstanden sein und die
NASA habe dafür eigens Stanley Kubrick, den Regisseur von
2001: Odyssee im Weltraum
, angeheuert.
Ob man all dem Glauben schenken darf? Jedenfalls habe ich bei meinen Recherchen herausgefunden, dass Kubricks Film auf der
Geschichte
The Sentinel
von Sir Arthur C. Clarke basiert, der nicht nur ein bekannter Schriftsteller war, sondern auch die Grundlagen für die Verwendung
von Kommunikationssatelliten geschaffen hat. Ein Orbit und ein Asteroid tragen seinen Namen. Kubrick und Sir Arthur Clarke
sollen sehr eng zusammengearbeitet haben. Und wenn Letzterer auch nicht in Vilcabamba lebte, so ist er doch wie
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