Das Tal der Hundertjährigen
Reihe, eine Frage zu stellen.
»Und was ist die letzte Karte?«
»Aliens.«
»Aliens?«
»Ja, Außerirdische. Man behauptet, wir müssten uns gegen Außerirdische verteidigen, und deshalb gelte es, den Weltraum weiter
aufzurüsten.«
»Was für ein Wahnsinn!«
»In der Tat. Man hat eine Reihe von Raumschiffen entwickelt, die wie fliegende Untertassen aussehen, |148| so kann man den Menschen vorgaukeln, es gäbe einen Massenangriff von Außerirdischen auf die Erde. Auf die Presse ist Verlass,
sie würde das Ihrige dazutun, solange es die Auflage steigert.«
»Und wer hat sich diesen Angriff ausgedacht?«
»Die Industrie.«
»Wahnsinn. Und das alles, um Waffen zu verkaufen?«
»Nicht nur Waffen, dahinter steckt noch mehr.«
»Noch mehr?«
»Es soll nicht ans Licht kommen, dass es bereits eine Energie gibt, die das Erdöl ersetzen kann und die Umwelt nicht verschmutzt.«
»Und Sie wissen, um was es sich dabei handelt?«
»Ja, von Braun hat es mir erklärt, es ist eine Technik, bei der die Magnetfelder der Erde genutzt werden.«
»Tja, eigentlich wollte ich Sie ja zu den alten Menschen hier befragen.«
»O ja, eine ganz andere Welt. Dieser Ort ist ein Paradies«, schwärmt Carol und fährt düster fort: »Und die Leute kommen hierher
und haben nichts Besseres zu tun, als es zu zerstören.«
Solche Klagen hatte ich im Dorf auch schon gehört. Für Carol scheint dieses Paradies eine echte Herzensangelegenheit zu sein.
»Die Bauherren zerstören Vilcabamba. Sie haben |149| es sicher gesehen: Auf dem Weg hierher stehen inzwischen neunzig Neubauten, fünfundzwanzig sind im Entstehen und für weitere
vierzig werden im Augenblick Käufer gesucht. Das natürliche Gleichgewicht im Tal gerät total aus dem Lot.«
»Und dieses Haus?«
»Das stand bereits. Ich habe es erworben, als es im Dorf gerade mal drei motorbetriebene Fahrzeuge gab.«
»Warum sind Sie nach Vilcabamba gekommen?«
»Ich will dieses Tal schützen, verhindern, dass es verschmutzt wird. Die Neuankömmlinge sollen sich hier wohlfühlen. Deshalb
leite ich den Verein für alte Menschen. Um sie dabei zu unterstützen, ihre Traditionen zu erhalten und um von ihnen zu lernen.
Die Hundertjährigen verstehen etwas von Naturmedizin, sie vermeiden Antibiotika und leben im Einklang mit der Natur. Sie machen
Vilcabamba zu dem, was es ist: eine besondere Stätte der Begegnung.«
Während sie mit mir spricht, sortiert sie Fotos. Bestimmt ist sie mit vielen berühmten Persönlichkeiten abgelichtet worden.
Das kann ihrer Mission nur zugutekommen. Vor allem wenn man bedenkt, wie mächtig die Gegner sind. Ich habe es ja eben gehört.
Carol kommen die Tränen. Sie sagt, es bedrücke |150| sie sehr, mitansehen zu müssen, wie das Tal kaputtgemacht wird.
Sie hat alle alten Menschen von Vilcabamba gezählt und aufgelistet – es sind sehr viele, aber sie leben abgeschieden in den
Bergen. Man solle sie in Ruhe lassen.
»Manchmal reite ich auf meinem Pferd hinauf, um sie zu besuchen. Es fasziniert mich, zu sehen, wie sie sich allein von dem
ernähren, was die Erde hergibt, wie sie tanzen und ihre Lieder singen.«
»Sicher eine traurige Musik.«
»Nein, ganz im Gegenteil, pure Lebensfreude.«
Carol zeigt mir einige der Fotos, die sie gerade sortiert hat. Leider könne sie mir die Bilder nicht überlassen. Wie schade.
Ich bedanke mich bei ihr für die Zeit, die sie sich genommen hat, und breche auf Richtung Madre Tierra.
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Mein Gepäck steht bereit, und die Rechnung im Madre Tierra ist beglichen. In ein paar Stunden werde ich zum Flughafen gebracht.
Ich hoffe, Lenin holt mich mit seinem Jeep ab und es steht nicht plötzlich irgendein Außerirdischer mit einer fliegenden Untertasse
da … Kopfschüttelnd denke ich an das Gespräch mit Carol.
Mir bleibt noch Zeit für einen letzten Spaziergang durch Vilcabamba, um ein paar Fotos zu schießen. Entspannt schlendere ich
zur Plaza de la Madre.
Mit einem Mal bekommt der Hype um Vilcabamba und seine Hundertjährigen einen schalen Beigeschmack für mich. Wir bestaunen
und beneiden das hohe Alter und die körperliche Fitness der Menschen im heiligen Tal – das wollen wir auch haben. Dabei übersehen
wir leicht die harten Lebensbedingungen, unter denen die Zentenare hier ihr Dasein fristen. Manch einer von ihnen würde sicherlich
ein paar Jahrzehntchen für ein angenehmeres Leben herschenken.
|152| In der Kneipe »La Terraza« sitzt ein alter Mann, vor ihm steht ein
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