Das Tal der Wiesel
Augenblick unter ihr zu liegen kam. Er wurde hin und her geschleudert und bekam Schwindelanfälle. Er wußte nicht, ob er sich oben oder unten befand, doch die tödlichen Kiefern des Wiesels blieben unbeweglich, und das Leben zog sich langsam aus dem herumwirbelnden Koloß zurück. Kine triumphierte; er war zwar leicht lädiert, doch er triumphierte, und er riß seine Augen weit auf.
Andere Augen starrten ungläubig. In Wilderers Spülküche wischte die Tochter des Bauern mit der flachen Hand über die beschlagene Fensterscheibe. Mit volltönender Stimme rief sie: »Es ist ein Wiesel! Du lieber Himmel, Wilderer, ein Wiesel tötet die Ratte, die ich vorhin gesehen habe!«
Der betörende Siegesrausch zeigte sich in seinen Bewegungen. Krähen schlummerten. Dachse streiften umher. Nur wenige Tiere verhielten sich bei der Nahrungssuche so plump wie die Dachse, die ein bemerkenswertes Spektakel veranstalteten. Sie schnauften und grunzten, zerbrachen Zweige und rissen Blätter ab. Ein Fuchs konnte durch den ganzen Wald schleichen, ohne einen Ton von sich zu geben. Ein Dachs war nicht in der Lage, sich unbemerkt über einen Hof zu bewegen. Kine stolzierte siegesfroh einher, ohne auf den Lärm des Dachses zu achten. Die Ratte war tot. Es war die größte Ratte, die er bisher bezwungen hatte.
Vor dem Galgen bezeigte er den getöteten Helden seine Hochachtung. Der tiefstehende Vollmond versilberte die Marsch und versah das Land jenseits des Flusses mit Trugbildern. Der Galgen war tiefschwarz; deutlich konnte man die Umrisse der vertrockneten Gebeine erkennen, ehrwürdige Kämpfer, von deren Geist Kine mit Wieselstolz erfüllt wurde. Er hatte sich als würdiger Nachfolger erwiesen, hatte die Ordnung in Kines Land aufrechterhalten und stand nun selbstbewußt an diesem geweihten Ort.
»Die Zeit ist kurz!« piepste die Spitzmaus, die zufällig vorbeikam. »Bald werden wir genauso aussehen wie die Gebeine dort oben.«
Das Wiesel hörte den Winzling und den Lärm des Dachses kaum. Kine durchlebte noch einmal den Kampf auf Wilderers Hof, kostete den Triumph aus: der Hinweis des Spatzes, der Abflußloch-Trick, der grandiose Tanz. Und wie er getanzt hatte! Er stellte fest, wie durchdacht seine Taktik gewesen war und wie meisterhaft die Ausführung! Die Ratte war furchterregend und äußerst kräftig gewesen, doch Kine hatte sie überlistet und niedergerungen. Es war ein Kampf gewesen, den man auskosten und besingen sollte.
»Die Zeit ist kurz!« piepste die Spitzmaus. »Bald wird abgerechnet.«
»Freu dich, Spitzmaus!«
»Das Ende ist nah.« Die kurzlebige Maus rief ihre Wehklagen mit schriller Stimme hinaus, die im Wald und in der Marsch jedoch unbeachtet blieben. Es war die Tochter des Bauern gewesen, die, wenn die Spitzmaus manchmal unter der Haustür hindurchschlüpfte, sie mit ihren Händen fing und nach draußen setzte und ihr den Namen Scrat gegeben hatte, benannt nach dem Hausgeist einer Sage, die man sich in dieser Gegend erzählt. Scrat war, Kines Ansicht nach, ein skurriles Wesen: ein schnuppernder Winzling, ein Kügelchen, das scheinbar nur aus Nerven bestand. Manche Spitzmäuse waren so überempfindlich, daß sie bei Gewittern starben, wie Kine beobachtet hatte. Scrats piepsende Litanei vom Weltuntergang verärgerte ihn. Hätte der Stolz es erlaubt, wäre er nicht abgeneigt gewesen, das Ende des Propheten zu beschleunigen. Statt dessen sagte er leidenschaftlich: »Die Ratte ist tot!«
»Tod …« Scrat legte eine kurze Pause ein und sah unter seinen unscheinbaren Augenbrauen hervor. »Er verfolgt uns alle, denn ich habe das Teichhuhn gesehen, wie es tauchte und nicht wieder an die Oberfläche kam, Kine. Ich habe die verwundete Wildente gesehen, mit frischem Blut bedeckt, und die Fische, die ohne Kopf am Flußufer liegen. Ich habe die Zeichen des Schreckens gesehen, der unsichtbar zuschlägt, und die Wahrheit ist offensichtlich, Wiesel – das Tal ist dem Untergang geweiht.« Er schnappte sich ein Insekt aus der Nacht und kaute nervös.
»Der Rattenbezwinger steht vor dir. Freu dich, Scrat!«
Die Spitzmaus jammerte.
»Das Tal«, rief Kine, »wird vom Beifall erfüllt sein, wenn sich die Nachricht verbreitet.« Wenn erzählt wurde, wie die Ratte überlistet und zum Kampf gezwungen worden war, wie der Zweikampf in der Dämmerung getobt und gewütet hatte – dieser letzte Sprung, mit seiner großartigen Drehung und der vollendeten Landung, würde in den Erzählungen über Kines Land immer gegenwärtig bleiben. Kine
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