Das Tal der Wiesel
Frühlingsgewitter oder die Sprengung von Baumstümpfen mit Dynamit. Der ferne Laut verstärkte die friedliche Stimmung noch.
Kine änderte seine Blickrichtung. Unter ihm, wo sich die Elritzen getummelt hatten, bildete der Strand den Boden einer kleinen Bucht – und dort hockte das Geschöpf. Kine starrte es an. Seine Nackenhaare sträubten sich. Es war ein furchterregendes Tier. Kein Wiesel. Zunächst dachte er, daß es eine schwarze Katze wäre, doch es handelte sich weder um eine Katze noch – und das wußte er mit eisiger Sicherheit – um irgendein Tier, dem er schon einmal begegnet war. Er erinnerte sich an Kias Beschreibung: ›ein Wassermonster‹. Dieses Tier sah wirklich monströs aus, und durch die Blätter hindurch betrachtete er es genauer, mit wachsendem Entsetzen: »Du wirst laufen, Kine – du wirst laufen, wenn du dieses Wesen siehst, das sag’ ich dir.«
Doch die Neugier, die ausgeprägte Eigenschaft des Wiesels, hielt ihn an seinem Platz und der noch stärkere Drang, ihr zu beweisen, daß sie unrecht gehabt hatte.
Kias Beschreibung der Pfoten war nicht ganz richtig gewesen. Sie waren nur teilweise mit Schwimmhäuten versehen; die Enden der Krallen standen hervor, so daß sie ungehindert zupacken konnten, was mit ihrer Behauptung übereinstimmte, daß das Tier einen Baum erklommen hatte. Das dunkle Fell des Monsters wirkte abstoßend, die kürzeren Haare waren dicht gewachsen und verfilzt, die Oberhaare von einem glänzenden Überzug steif geworden. Die langen Haare wuchsen nicht an den Pfoten, doch am buschigen Schwanz, der ein Drittel der Länge des Tieres ausmachte, waren sie deutlich sichtbar. Das Wesen hockte mit starrem Fell in gebeugter Haltung da und deutete ihr geschmeidiges Bewegungsvermögen im Wasser an. Doch es war häßlich, und wenn sich der Wind legte, schien Kine von einem unheilschwangeren Geruch erstickt zu werden.
Die Nerzin starrte auf den Fluß und zeigte ihre mörderischen Zähne. Diese todbringenden Werkzeuge erschreckten das Wiesel. Obwohl er nicht gerade zimperlich war, erbebte Kine vor einer derartigen Bewaffnung. Der Terrier würde sich ängstigen, der Fuchs davor zurückschrecken, der Falke erzittern. Kein Talbewohner würde es wagen, den Nerz zu belästigen.
Das Monster setzte sich in Bewegung. Den Schwanz nachschleifend, schlurfte es langsam zum Wasser und tauchte hinein, wobei die Oberfläche kaum bewegt wurde. Kine starrte auf den leeren Strand. Wären dort nicht die Abdrücke der schwimmhäutigen Pfoten zurückgeblieben, hätte Kine nicht akzeptiert, was seine Augen soeben gesehen hatten. Er streckte sich vorsichtig. Am Strand entlangschnuppernd, folgte er den Spuren bis zum Fluß, ging hinein, konzentrierte sich kurz und tauchte unter. Die blaugrüne Welt der Fische zeigte sich kühl und dumpf. Er betrachtete sie behutsam.
Dickichte aus hochgewachsenen Wasserpflanzen schwangen rhythmisch hin und her, ertrunkene Gebüsche schwankten, grüne Finger wiegten sich im Sog. Gallertartige Gebilde umgaben die Eier der Wasserschnecke. Auf der Suche nach dem größeren Tier glitt Kine dahin und zog Luftbläschen hinter sich her. Die Tiefe wimmelte von winzigen Lebewesen. Er schwamm an krabbelnden Käfern und Wasserflöhen vorbei, Hautflügler benutzten ihre Flügel als Flossen, Larven lauerten mit gierigen Masken und eindrucksvollen Schwänzen. Eine Wasserspinne blickte durch die Wände ihrer seidenen Luftglocke. Doch das Monster war verschwunden. Das Wiesel arbeitete sich an die Oberfläche, schnappte nach Luft und tauchte erneut.
Das Gefühl der Gewichtslosigkeit war angenehm. Er ging in die Schräglage, überließ sich der Strömung und glitt lässig vorwärts. Die klare Flüssigkeit blieb ungestört. Über ihm befleckte der Schatten einer jagenden Seejungfer die marmorne Struktur, die das gebrochene Licht hervorrief. Er entdeckte keinen Fisch, kein großes tauchendes Wesen. Kine dachte bei sich, daß das Tier vielleicht weniger schrecklich war, als es aussah – ein scheues Monster. Größe und Angriffslust gehörten nicht unbedingt zusammen; im nahezu durchsichtigen Wasser des Flusses war der kleine Stichling unvergleichlich streitsüchtiger als das größte Rotauge. Kine drehte sich in der Strömung und bewegte sich nach oben – als er die schwarze Gestalt erblickte.
Zunächst brachte er sie nicht mit dem gebeugt hockenden Tier am Strand in Verbindung. Dieses Wesen war stromlinienförmig, besaß die Form eines Fisches. Es schoß wie ein Blitz durchs Wasser,
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