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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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nicht auszudenken. Blitz und Donner inszenierten bedrohliche Schauspiele, die vorüberzogen, doch was geschah, wenn die Nerze nicht vorüberzogen? Was würde geschehen, wenn sie blieben, um das Land zu erobern, um es zu tyrannisieren? Es schien möglich, daß sich Scrats düstere Prophezeihungen schließlich doch erfüllten. Das Gleichgewicht in der Natur, das sich über Jahrhunderte hindurch in dem Tal erhalten hatte, drohte zerstört zu werden. Die Fische konnten verschwinden, ebenso die Otter. Die Wasservögel konnten vernichtet werden. Wenn die Beutetiere von Fuchs und Wiesel dezimiert wurden, blieb für sie nur noch der sichere Tod. Die Nerze würden Hunger und Auswanderung mit sich bringen und grausame Raubzüge unternehmen. Die Helden am Galgen waren niemals mit einer derartigen Drohung konfrontiert worden.
    Elegant landeten die Schwäne mit kräftigen, gebogenen Hälsen auf der Marsch. Unter diesen Umständen wirkten sie irgendwie unwirklich, ein harmonisches Bild in einer unwirtlich werdenden Welt, und Kine beneidete sie. Ein Schwan war imstande, einen Hund zu töten. Er hatte von den Eindringlingen kaum etwas zu befürchten und besaß auch kein Interesse daran, etwas gegen sie zu unternehmen, solange er nicht belästigt wurde. Den Kämpfen zwischen kleineren Sterblichen gleichgültig gegenüber, schwammen die großen Vögel in weißer Erhabenheit auf dem Wasser. Die Hälse ineinandergeschlungen, flüsterten sie rauh; die halb erhobenen Flügel bildeten Körbe auf ihrem Rücken.
    »Keine Angst!« beruhigte Kia. »Die Monster bewegen sich im Wasser. Sie werden sich nicht weit vom Fluß und von den Kanälen entfernen.«
    »Das ist weit genug!« Er kochte vor Wut, als er die Ebene überblickte. Das Gebiet war von Wasserwegen durchzogen, schilfbestandene Einschnitte bildeten rechteckige Flächen, und alles wurde vom Fluß, der Hauptwasserstraße, beherrscht. Das netzartige System schimmerte im Sonnenlicht. Es gab keine Zäune oder Hecken auf dem Marschland, lediglich Gräben, um die grasenden Tiere zusammenzuhalten. Wenn man sich auf dem Flachland befand, schienen die Schafe und Bullen ungehindert umherwandern zu können, doch von hier oben konnte man sehen, daß die Herden tatsächlich durch Wasserbarrieren voneinander getrennt waren; die Marsch war ein Flickwerk aus Grasniederungen, die man über Brücken erreichen konnte. »Viel zu weit!« überlegte Kine. »Bei Sonne und Mond! Das ist die Hälfte meines Landes. Ich werde es verteidigen!«
    Er beobachtete, wie der männliche Schwan einen Rivalen vom Weibchen wegdrängte, ungestüm umherschwamm und feindselig mit erhobenen Flügeln und Schultern vorwärts stürmte. Durch die Vorstellung erregt, sagte Kine grimmig: »Das Wiesel ist klein, aber gefährlich. Es besitzt das Herz eines Schwans und ist noch verschlagener. Die Räuber sollen sich hüten, denn sie werden noch von ihm hören.«
    Kia sagte besänftigend: »Du mußt warten, Kine.« Sein Blut geriet in Wallung, und wenn er vom Blutrausch ergriffen wurde, müßte er dafür bezahlen. Sie hatte bemerkt, daß sie ihn vor ihm selbst retten mußte, denn ein Wiesel im Blutrausch kannte keine Gefahr und ging auf alles los. »Du mußt nachdenken. Es handelt sich um eine völlig neue Situation. Du wirst etwas tun, doch nimm dir Zeit. Mit der Zeit lösen sich viele Probleme von selbst. Denk zum Beispiel an Wilderer – wie lange hattest du warten müssen, um ihn nach und nach zu überlisten. Wilderer ist furchteinflößender als jedes Tier gewesen, doch nun ist er geschwächt, und du bist stark. Du hast ihn bezwungen.«
    »Das stimmt.« Kine beruhigte sich. »Der Mann war listig, und ich habe ihn überlistet. Du hast recht, wir müssen bedächtig vorgehen.« Das ›Wir‹ benutzte er nun automatisch. »Alles zu seiner Zeit. Wir müssen sie genau einschätzen, dann werden sie lernen, daß es sich um Kines Land handelt.«
    »Ein ehrwürdiges Land.«
    »Und nicht zum Verwüsten bestimmt.«
     
     

Zweiter
Teil Kia

6. Kapitel
    Das Mädchen lehnte am Zauntor beim Wald, als auf dem Feldweg, der in die Marsch führte, ein gelber Lieferwagen auftauchte. In dieser nahezu unberührten Gegend erschien er genauso fremdartig wie ein Fahrzeug vom Mars, blitzsauber, mit glänzenden Chromteilen; an den Seiten war die Inschrift Wasserbauamt zu lesen. Obwohl sie sich uninteressiert zeigte, als er näherkam, entging ihr, wie jedem Landbewohner, so gut wie nichts. Der junge Mann saß hemdsärmelig am Steuer und lächelte, als er den

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