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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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Wagen zum Stehen brachte. »Hast du den Alten, der in dem Häuschen dort wohnt, gesehen?« fragte er freundlich.
    »Wenn du Wilderer meinst«, antwortete die Tochter des Bauern, »dem geht’s nicht gut. Er ist seit einiger Zeit krank. Ich mache mir Sorgen um ihn.«
    »Das tut mir leid.« Er betrachtete ihre kräftige Figur und das Tor, das unter ihrem Gewicht leise knarrte. Vor dem tiefblauen Feld der Hasenglöckchen, die die Eichenstämme umgaben, wirkten ihre Jeans recht blaß. Sie trug ein T-Shirt, darüber eine Jacke, und sah woandershin, als er fragte: »Gehörst du zur Familie?«
    »Wohl kaum!« Ihr zur Seite geneigter Kopf bekundete die gleiche Unnahbarkeit, wie sie oft Katzen auf dem Lande zeigen. »Ich bin seine Nachbarin. Er hat keine Familie. Deshalb schau’ ich ab und zu vorbei. Er braucht jemanden, der sich um ihn kümmert; er vernachlässigt sich.«
    »Das ist nicht gut.« Der Fahrer runzelte die Stirn und stieg aus dem Wagen. Auf der Motorhaube sitzend, betrachtete er sie. Sein Gesicht sieht nicht unfreundlich aus, dachte sie, und seine Figur nicht schlecht, und recht groß ist er. Schließlich sagte er mit nachdenklichem Blick: »Ich habe dich vorher noch nie gesehen, aber ich komme auch nicht so oft in diese Gegend. Ich warte die Pumpen am Fluß.«
    »Ach so.« Es klang zynisch, ihre Augen blickten auf die Inschrift an der Wagentür.
    »Es ist schön ruhig hier.«
    »Kann sein.«
    »Hab’ dort unten im Tal ein Wiesel gesehen. Und einen Nerz am Fluß. Gibt es hier viele Nerze?«
    »Ich hab’ noch keinen gesehen«, sagte sie achselzuckend. »Wilderer vielleicht.«
    »Ich denke, daß du noch welche sehen wirst«, meinte er zu ihr. »Flußaufwärts gibt es viele. Sie werden hierherkommen. Das Marschland hier – das ist genau der Platz für sie. Wenn sie einen Platz finden, an dem sie sich wohl fühlen, nehmen sie ihn in Besitz. Nerze sind skrupellos. Töten an Land und im Wasser, sind nicht wählerisch dabei.« Er blickte sie ernst an. »Du wirst es kaum glauben – die Schweden töten zwanzigtausend Nerze im Jahr, die Norweger fünfzehntausend, und das ist nur ein Bruchteil von der Gesamtzahl der Nerze, die dort frei herumlaufen. Und alles nur, weil einige aus den Pelzfarmen geflohen sind. Du siehst, wie schlimm es hier werden könnte.«
    »Du weißt ‘ne ganze Menge.«
    »Nur was ich gelesen habe. Und wenn man an den Pumpen arbeitet, hört man so einiges.«
    »Der arme Wilderer fühlt sich nicht gut. Du könntest mit ihm reden.«
    Der Fahrer grinste. »Ich würde ebensogern mit dir reden«, sagte er und fügte, als sie nicht darauf antwortete, hinzu: »Ja, er kennt sich mit Tieren aus, der alte Mann.«
    »Er lebt selbst wie eins.« Das Mädchen verzog ihr Gesicht, doch ihr Ton klang eher besorgt als abfällig. »Er ist ein kratzbürstiger, undankbarer Heide, doch er weiß viele Dinge: Er kennt Geheimnisse des Tales, die sonst niemand kennt. Mein Vater sagt, daß Wilderers Vorfahren schon immer hier gelebt haben und über alles Bescheid wußten. Wilderer kennt jedes Fasanennest. Er weiß, wo Pilze wachsen und wilde Erdbeeren, während andere vergeblich suchen. Er kann von rätselhaften Dingen erzählen. Das heißt«, sagte sie, ihren Kopf zurückwerfend, »wenn er will.«
    »Ich habe von solchen Leuten gelesen. Man kann sie vielleicht mit den Zigeunern vergleichen«, überlegte der junge Mann.
    »Er kann den Kuckuck aus dem Baum herausrufen, erzählt mein Vater, und das Bellen der Füchsin beantworten.«
    »Wie die Menschen bei den Naturvölkern.«
    »So ist er ja in Ordnung.« Endlich lächelte sie. »Es ist nur, wie er lebt! Als wir klein waren, hat uns seine Welt fasziniert. Er hat uns mitgenommen, damit wir den Eisvogel sehen konnten; hat uns die Blindschleiche und das Nest des Zaunkönigs gezeigt. Und er hat uns erzählt, daß die Nachtigall niemals schläft, weil sie mit den Augen der Blindschleiche sieht, und wenn die Blindschleiche sie einmal schlafend findet, würde sie sich ihre Augen zurückholen. Deshalb singt die Nachtigall in den dunklen Stunden! Wir haben geglaubt, daß Wilderer ein König wäre«, sagte sie. »Nun sieh ihn dir an!«
    »Er hat mir einige Kaninchen versprochen.«
    »Er will nicht zum Arzt gehen. Deshalb versuch’ ich dauernd, ihn zu überreden.«
    »Das ist nicht deine Aufgabe.« Der junge Mann bewunderte ihre Frische, die gesunde Gesichtsfarbe der Bauerntochter. »Du müßtest deine Freizeit besser ausnutzen. Du könntest zum Beispiel in die Stadt fahren. Gehst du

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