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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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umherhuschenden Fledermäuse über dem Mondsee. Man mußte ein feines Gehör haben, um ihre Stimmen wahrzunehmen. Das Wiesel hörte sie und auch das Summen der Flughäute, wenn die Fledermäuse geschickt die Richtung änderten oder hinabstießen. Doch er hörte es nur mit mangelhaftem Interesse. Er blieb auf dem kleinen Steilufer stehen und starrte auf das Wasser, in dem Sterne schwammen. Außer sich selbst konnte er in der Spiegelwelt niemanden sehen.
    Er hätte nicht genau sagen können, wann er eingeschlafen war, denn es geschah im Innern der Nacht, als der Zeit in dem tiefen Wald keine Bedeutung mehr zukam. Es geschah irgendwann während der kurzen Spanne, in der die Gezeiten stillstanden und die Sternenschar, die wirbelnd über dem Tal hinwegzog, einhielt, um über die Schöpfung nachzudenken, bevor sie weiterstürmte. Bald würde ein Wind aufkommen, der Flutwechsel einsetzen, und der erwachende Kine würde wiederum den Gesang der Drossel hören und die unverkennbare Brise wahrnehmen, das charakteristische Schaukeln der Eichenwipfel, das die Morgendämmerung ankündigte. Als die Zeit gekommen war, offenbarte der Silberstreifen am östlichen Himmel eine schmächtige Gestalt, die auf der feuchten Wiese dem Wald entgegentanzte.
    Da wußte Kine, daß er verrückt geworden war. Anders konnte er sich seinen innerlichen Tumult bei Kias Rückkehr nicht erklären.
    Ungewöhnlicherweise schürzte sie ihre Lippen. Seine Begrüßung war so leidenschaftlich – er warf sie beinahe um –, daß sie gereizt ihre Zähne fletschte. Kine zog sich enttäuscht zurück, und ein Zaunkönig fing an zu schreien. Der Lärm über ihnen, der aus dem rankenden Efeu hervorschallte, gab seine innere Aufregung wieder, ein Geschrei, das man dem winzigen Vogel niemals zugetraut hätte. Im Gegensatz zu der Saatkrähe verkündete der Zaunkönig offen die geniale Schöpferkraft seiner Partnerin: acht perlenartige Eier in einem kuppelförmigen Nest. »Ich habe nicht geschlafen«, protestierte Kia und trottete müde zum See. »Ich brauche Ruhe. Mindestens bis mittags.«
    Kine knurrte verärgert. »Wo bist du gewesen?«
    Ohne auf die Frage zu reagieren, stillte sie ihren Durst.
    Der Zaunkönig jubelte. Jedes der acht Eier, nur etwas länger als einen Zentimeter, war ein Meisterstück. Um den Dotter und das Tröpfchen lebendiger Substanz darin, um das einhüllende Eiweiß und um das hauchdünne Häutchen, das alles überspannte, hatte das Weibchen eine Absonderung ihres Eileiters gelegt, flüssigen Kalk, der sich unter Druck schnell in eine weiße Schale verwandelte. Schließlich war jede Perle, zur Feier des darin enthaltenen Lebens, mit einem rötlichen Farbstoff überzogen worden. Der Freudengesang des Zaunkönigs war überschwenglich. Wasservögel gingen ihrer morgendlichen Beschäftigung nach, schwammen mit triefenden Schnäbeln kreuz und quer auf dem See. Kia blickte auf, als sie das Wasser in sich aufnahm, ihren Brustkasten auf das Ufer gesenkt, den eleganten Schwanz erhoben. Ein frischer Glanz lag auf ihrem rostbraunen Fell; die stromlinienförmige Vollkommenheit ihrer Gestalt zog Kine mit unwiderstehlicher Kraft an. Als sie trank, bewegte sich eine Folge von zitternden Wellen auf den See hinaus.
    »Du hättest mitkommen sollen«, sagte sie schließlich.
    Kine sah sie an, dann schnupperte er im Wind. Er bemerkte einen Wieselgeruch, der anders war als Kias, jedoch allmählich verflog, nur undeutlich in der Luft lag, und nahm an, daß er womöglich von einem Hermelin stammte – oder aber seiner Eifersucht entsprang. Mit anwachsender Unbekümmertheit um seine Unabhängigkeit wurde er von einer Besitzgier ergriffen. Er war verärgert. »Wo bist du solange gewesen?« fragte er vorwurfsvoll.
    »Bin herumgestreift.«
    In der Marsch, dachte er; auch sie mochte diese Gegend. Aber nun war es gefährlich dort, und wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte er ihren Streifzug immer noch mißbilligt, denn ihr Interesse an dem Grenzgebiet löste ein bedrohliches Gefühl in ihm aus, das er nicht loswerden konnte. »Allein?«
    Als sie genug getrunken hatte, streckte sie sich auf dem Ufer aus. Ein Frosch quakte; ein anderer antwortete. Sie lachten, dachte Kine, es klang spöttisch wie das Kollern der Truthähne, respektlos. Bald würde die Marsch von den geschwätzigen, warzigen Seefröschen, die aus dem Winterschlaf erwacht waren, wimmeln; ihr Getratsche aus den Kanälen konnte man dann bis in die Wälder hinein hören. Er erinnerte sich an Zeiten, in

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