Das Tal der Wiesel
denen sie so laut waren, daß er kaum nachdenken konnte, und Kine ärgerte sich über das Gequake der plumpen Frösche.
»Nein«, sagte Kia gähnend. »Doch wenn du glaubst, daß ich zum Fluß gelaufen bin, liegst du völlig falsch. Ich bin ostwärts gelaufen, den Feldweg entlang, am Haus des Bauern vorbei. Man kommt in eine Heidelandschaft.«
»Uninteressantes Land.« Kine verfluchte ihre Streifzüge. »Jenseits des Feldweges trifft man niemanden von Bedeutung.«
»Wieder falsch!« Auf dem Boden liegend, hörte sie den Fröschen zu und ignorierte seine Ungeduld; dann streckte sie sich und legte sich dorthin, wo die Sonne zwischen die Bäume hindurchschien. Wilderers Hahn krähte. Der Wind nahm zu und drängte schwere Wolken über die fernen Höhen. »Du bist soo engstirnig.« Kia dehnte die Worte. »Du willst nichts darüber wissen, was außerhalb deines Landes vor sich geht. Du verpaßt viel.« Sie rekelte sich schläfrig. »Ich habe ein altes, erfahrenes Wiesel getroffen; ein richtiger Veteran. Du hättest mitkommen sollen.«
»Ich bin aber hiergeblieben.«
»Er war mutig.«
»Das will ich nicht bezweifeln.«
»Und höflich«, wies sie ihn zurecht. Dann sagte sie nachsichtig: »Es hätte dich interessiert. Er kannte die Helden am Galgen. Er wußte viele Dinge.«
»Möglich. Sie können alle Geschichten erzählen, wenn sie älter werden.«
Seine Gereiztheit belustigte sie: »Oh, er war noch reichlich munter. Er hat schon viele Kämpfe hinter sich. Ein Auge fehlte ihm allerdings. Er hatte nur ein Auge …«
»Ein einäugiges Wiesel?«
»Aber da war Feuer drin!«
8. Kapitel
Scrat kroch verunsichert vorwärts. Die Laute, die er hörte, waren irreführend: »Brek-ek-ek«, tönte es aus den Binsen, »Kroax-kroax« aus den Gräsern am Kanal. Einen Moment lang glaubte Scrat, daß es aus der Richtung des Wegerichs kam, im nächsten Augenblick schien es von den Sumpfdotterblumen herzukommen. Es war laut und beständig, verstummte nur, wenn der Reiher vorbeiflog, aber es wechselte andauernd seinen Platz: »Brek-ek«, erklang es neben dem Sauerampfer, »Kroax« neben der Wasserminze. Der Gesang der Seefrösche war äußerst verwirrend.
Scrat fürchtete sich. Die Seefrösche waren größer als er und konnten mit Leichtigkeit einen Wassermolch oder eine kleine Maus verschlingen. Bunda, der Frosch, den er suchte, war besonders groß. Die Länge seines olivgrünen, warzigen Körpers betrug zehn Zentimeter, seine Hinterbeine waren doppelt so lang. Er konnte mühelos weiter als einen Meter springen, und Scrat wußte, daß Bunda ihn beobachtete. Die Spitzmaus bewegte sich zentimeterweise vorwärts und versuchte angestrengt, den Bauchredner zu erspähen.
»Kroax-kroax.« Bunda besang überschwenglich die Geschichte der Frösche und legte bei seinem Vortrag eine Begeisterung an den Tag, die Aristophanes einst beeindruckt hätte. Im Mittelalter hatten Ritter in Frankreich den Leibeigenen angeordnet, mit Stöcken auf die Ufer der Burggräben zu schlagen, um diese Frösche ruhigzuhalten. Bundas Gesang war eng verflochten mit der Sehnsucht des émigré.
Die Frösche gehörten der letzten Einwanderergruppe an. Die Bewohner des Tales konnte man – historisch betrachtet – in drei Gruppen einteilen. Es gab die Einheimischen, wie zum Beispiel Scrat oder die Wiesel, die schon dagewesen waren, bevor sich die ersten Legenden um dieses Tal bildeten. Dann gab es die heimisch gewordenen Bewohner – Ratten und Kaninchen –, einstmals Fremde, die sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte fest im Tal eingelebt hatten. Und es gab die Neuankömmlinge, jetzt waren es gerade die Nerze, und erst kurze Zeit zuvor hatten sich die Seefrösche im Tal verbreitet.
Niemand, nahm Scrat an, wußte mehr über den Feind als die Frösche. Sie waren ungefähr zu der Zeit aus dem kontinentalen Europa eingeführt worden, als man den ersten Nerz nach England gebracht hatte (einige Jahre vor dem Krieg, den Wilderer mitgemacht hatte). Bundas Vorfahren waren die gleichen Flüsse entlanggekommen, an den gleichen schilfbestandenen Teichen vorbeigezogen. Auf ihrem Weg hatten sie die Nerze getroffen und gelernt, daß es lebensnotwendig war, sie zu meiden.
»Brek-ek-ek«, hörte man den Frosch. Scrat tastete sich vor, blickte aus dem Schatten eines Blattes auf das Kanalufer. Die Laute schwebten noch immer im leeren Raum. »Ich bin Bunda, der Unsichtbare, Sohn der Zwölf Gründer.«
Vor vier Jahrzehnten hatte man die Zwölf Gründer eingeführt und in einem Teich
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