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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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pfeilgleich in die nahe gelegenen Bäume. Ein düsterer Krähenschwarm trieb in die Baumkronen zu den brütenden Weibchen. Tauben plapperten und zappelten herum, bis sie eine bequeme Stellung gefunden hatten. Sie füllten das Dickicht, große und kleine; doch es war Kia, auf die der rastlose Kine wartete, ziellos umherlaufend.
    Wenn sie schon bald ein Tier erbeutete, würde sie zum See kommen, etwas trinken und mit ihm plaudern, eine Angewohnheit, die er nun genoß – oder vermißte, wenn sie nicht kommen sollte. Von allen Stunden erinnerte ihn die Stunde der Abenddämmerung am meisten an die Wieselin, besonders das Zwielicht des beginnenden Frühlings. Dann war die Luft frisch und trocken, die Sterne zeichneten sich deutlich vom Himmel ab, und das Lied der Drossel klang geheimnisvoll. Zu diesen Zeiten glaubte Kine, daß das Tal für Kia erschaffen worden war; der Mond schien sanft – nicht so intensiv und verzehrend wie in Frostnächten, sondern erforschte schonungsvoll schattige Lauben und Dickichte.
    In der Dämmerung schimmerten blasse Blüten auf den Wiesen und am Waldrand wie kleine Sterne. Die meisten Frühlingsblumen mußten ihre Pracht noch entfalten, aber es gab schon Anhäufungen von Blüten – einige von ihnen hatten sich zum Abend hin geschlossen –, die aufleuchteten, sobald sie von einem Lichtstrahl berührt wurden. Versammlungen von Sternmieren schmückten schattige Gräben, die überdacht waren von wilden Rosen. An anderen Stellen glänzten die prallen Knospen des Weißdorns, die mit jedem Tag heller wurden; die ersten aufgeblühten Wiesenkerbel präsentierten ihre cremefarbenen Lämpchen. Noch war der Geruch von Blättern und Stengeln stärker, doch bald schon würde der Wald vom Duft wohlriechender Blüten erfüllt sein. Nachtfalter flatterten gespenstergleich im Zwielicht.
    Kine schlüpfte in den Lebensbaum, konnte sich aber nicht beruhigen. Er mußte andauernd an die Wieselin denken. Er verließ die Höhlung wieder, lief flink zwischen den Bäumen hindurch und blickte über die Wiese. Bei Anbruch der Dunkelheit versammelten sich dort die Kaninchen; nach und nach tauchten die plumpen Gestalten auf. Zuerst blieben sie in der Nähe des Dickichts und hielten ihre Köpfe in Richtung der Kaninchenbaue, so daß sie mit einem einzigen Sprung in Sicherheit sein konnten. Nach einiger Zeit wurden sie verwegener. Einige der Weibchen hatten im weichen Boden außerhalb des Waldes Nester gebaut; zahlreiche falsche Gänge waren dazu bestimmt, räuberische Tiere in die Irre zu führen. Der Fuchs würde nach jungen Kaninchen suchen, was Kine jedoch verachtete.
    Er veränderte seine Blickrichtung und entdeckte am Waldrand, wenige Meter über dem Boden, etwas Weißes. Es glitt geräuschlos durch die Schatten, wendete über der Hecke, kam zum Dickicht zurück und zerstreute die Kaninchen, die es gesichtet hatten. Kine nahm eine drohende Haltung ein, doch die Schleiereule flog vorbei, ohne ihn zu beachten. Der Vogel hatte nun Respekt vor ihm, dachte Kine selbstgefällig. Er triumphierte innerlich, doch seine Befriedigung verlor sich wieder, und er kehrte unruhig zum See zurück. Diesen Abend wird sie nicht kommen, sagte er sich.
    Die Drossel sang spät und verstummte schließlich, als sich die Luft abkühlte. Nun war es still, und Kine beobachtete Nachtfalterflügel, die auf der Flucht von einer jagenden Fledermaus abgerissen worden waren und wie Tränen auf die taufeuchte Erde schwebten. Das Schweigen war nun so tief, daß man das Schmatzen der Mäuse zwischen den Hasenglöckchen deutlich hören konnte. Normalerweise hätte sich Kine an die Waldmäuse angepirscht, doch in Kias Abwesenheit verspürte er überhaupt keinen Hunger. Weder die Mäuse noch die Kaninchen reizten ihn. Es lag nicht an der Einsamkeit, denn das Wiesel verbrachte den größten Teil seines Lebens allein. Zu seiner Unruhe kam noch etwas hinzu: eine nagende Besitzgier nach ihr, eine leidenschaftliche Eifersucht, was völlig neu für ihn war.
    Irgend etwas in seinem Kopf war in Unordnung geraten, befürchtete er. Mehr als einmal lief er vergeblich um den See herum. Der Mond zeigte sich sichelförmig, eine Scherbe im Halbdunkel über dem Dickicht, aus dem, als ob sie das Wiesel verspotten wollte, die Füchsin herausheulte. Geräusche aus weiter Ferne waren hörbar. Auf der Straße hinter den Hügeln arbeitete sich ein spät zurückkehrender Lastwagen bergauf und ließ die Häuser leicht erbeben. Dachse schnauften. Kine beobachtete die

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