Das Tal der Wiesel
Nackenfell; seinen Kopf hielt er in die schwarze Leere gesenkt. Es war recht trocken, die Luft schmeckte warm, irgendwie muffig und erinnerte eher an Ameisen als an feuchte Würmer.
Als Kine vorankroch, empfand er ein Mitgefühl für den alten Wächter. Bis zum nächsten Regen würden sich die Würmer außerhalb der Reichweite seines Schnabels tief im Boden befinden, und der Vogel war gezwungen, viele Raupen zu finden. Die Erde war hart. Kine bemerkte, wie staubige Teilchen herunterkrümelten, als er sich mit Hilfe seiner Barthaare vorantastete. Die unbequeme Haltung machte ihm zu schaffen. Dann stieg der Tunnel in der Finsternis an, und er kletterte eine kurze, steile Steigung hinauf – um das Ende einer Sackgasse zu erreichen. Kia war verschwunden. Eine unbewegliche Erdwand stand ihm gegenüber.
Zunächst durchfuhr ihn ein gewaltiger Schreck, dann spürte er Verwirrung. Kia war hinter festen Wänden verschwunden, und ein Tunnel endete genau unterhalb der Erdoberfläche mit einer kurzen Steigung. Er brauchte einen Moment, um alles zu begreifen. Der Gang mußte in einen kleinen Hügel geführt haben, wo sich eine Wohnhöhle des Maulwurfs befand, an der ein falscher Seitenweg vorbeiführte. Den richtigen Weg zur Höhle hatte er verpaßt. Er tastete sich langsam zurück und untersuchte die Wände, bis er den engen Eingang gefunden hatte. Er zwängte sich hindurch und gelangte in ein behagliches Nest aus trockenem Gras, das genügend Platz für ihn und Kia bot.
Sie sagte: »Gefällt es dir? Als ich es gefunden hatte, erinnerte ich mich an diese erdigen Gerüche. Es hat mich wieder zurückgezogen. Meine Mutter hat uns in einem Maulwurfsnest großgezogen. Genau die richtige Größe und schon fertig gebaut.«
Kine war entsetzt.
»Es gefällt dir nicht«, antwortete sie für ihn. »Was ist los mit dir?«
»Man kann Wiesel nicht unter der Erde aufziehen. Unsere Jungen nicht.«
»Mir hat es nicht geschadet.«
»Du hast Glück gehabt.« Er schnüffelte angewidert. »Was für einen Schutz bietet denn ein Erdhügel? Er kann ausgegraben oder weggescharrt werden. Durch heftigen Regen können die Gänge überflutet werden. Du kannst unsere Nachkömmlinge doch nicht im Reiche des Wurms auf die Welt bringen, wo das Leben zerfällt und die Blinden umhertasten. Unsere Jungen brauchen den Himmel, das Fließen der Lebenssäfte um sie herum. Sie brauchen stabile, schützende Wände und ein Blätterdach. Ich bin in einem Lebensbaum geboren worden.«
»Ich weiß«, sagte Kia.
»Im Lebensbaum, im Herzen des Waldes. Das ist ein geeignetes Nest für Wiesel. Warum bist du hierhergekommen, Kia?« fragte er verwundert.
»Ich weiß, daß der Baum ein guter Platz gewesen ist, doch ich fürchte mich vor ihm.«
»Du fürchtest dich?«
»Einige seiner Äste sind vertrocknet, Kine. Vielleicht ist er verflucht.«
Er lachte auf, erleichtert durch ihre Wunderlichkeit.
»Ist das alles – ein paar Äste? Hast du deshalb nach einem anderen Nest gesucht? Denk doch einmal an die unzähligen Bäume, die kahle Äste haben. Es gibt Eichen im Tal, an denen nur noch halb so viele Blätter wachsen, und kräftige Pappeln mit kahlen Seiten. Und sie sind trotzdem noch stark belaubt, der Lebenssaft fließt noch immer. Sie fallen nicht um, Kia. Die Silberweide ist äußerst standhaft.«
»Sie kam mir so unheilvoll vor …«
»Aber Kia«, drängte er liebevoll. »Dir gefällt der Platz doch. Der Lebensbaum ist kräftig und eindrucksvoll, und wie dort das Wasser des Sees schimmert. Das hier ist nicht das richtige.« Er führte sie zurück, und sie dachte, daß er recht hatte, daß sie durch ihre körperliche Verfassung irregeführt worden war. »Ich denke, ich lasse die Maulwürfe lieber zufrieden, Kine, und werde wieder vernünftig.« Das war die alte Kia. »Armer Kine«, sagte sie vergnügt. »Habe ich dich erschreckt? Was für eine Plage sind wir nur, ich und deine Nachkömmlinge.«
»Du hast die Kreuzotter erschreckt«, sagte er bestimmt.
In den folgenden Tagen jagten sie und legten die Baumhöhlung mit Moos und Blättern aus. Als sie damit fertig waren, fing es an zu regnen; der Wald seufzte, Wassertropfen sickerten durch sein riesiges Dach. Kias Zeit rückte näher, und Kine ließ sie im Nest zurück, schlich um den kleinen See herum. Der Regen flüsterte auf der Wasseroberfläche. Es nieselte, leicht und stetig, wie es sich die Saatkrähen gewünscht hatten. Kine beachtete den Regen nicht. Von den Blättern lief das Wasser auf sein Fell
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