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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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herunter. Geistesabwesend schritt er voran, wobei er sogar die Pfützen übersah.
    Der Regen ließ neue Farben entstehen: Sattere Grüntöne zeigten sich, als die Pflanzen erfrischt und vom Staub befreit wurden. Allmählich bildeten die Tropfen Rinnsale, Rinnsale liefen zu kleinen Bächen zusammen. Bald glucksten die Entwässerungsrohre, die Gräben wurden wieder naß. Tröpfchen polierten die Dornsträucher und die flitterhaften Blüten der Großen Brennessel. Kine trottete am Ufer allein hin und her, bis er, durchnäßt und unruhig, nach Kia rief. Das leise Winseln aus der Weide klang triumphierend. Er raste zu ihr hin.
    Kia sah stolz von den Neugeborenen auf, die sie gerade säuberte; aus ihrem heiseren Schnurren war eine tiefe Freude herauszuhören. Fünf Junge lagen da, mit ungeöffneten, gewölbten Augen, rosa und hilflos. Ab und zu zuckten sie plötzlich zusammen. Objektiv gesehen waren sie nicht gerade schön, doch für Kine waren sie unvergleichlich, bezaubernde Geschenke, und sein Blick verklärte sich, als er sie anstarrte. Er war überwältigt, Ehrfurcht ergriff ihn. »Du bist naß«, sagte Kia. Er konnte kaum glauben, daß er an diesem Mysterium beteiligt war.
10. Kapitel
    Der Techniker hielt mit seinem Wagen vor Wilderers Häuschen und ging um den großen Humber herum, der neben dem morschen Gartentor geparkt worden war. Auf dem Armaturenbrett lag ein mit Adressen vollgeschriebener Notizblock, auf dem Rücksitz die neueste Ausgabe einer medizinischen Fachzeitschrift. Er strich mit seiner Hand ehrfurchtsvoll über die Karosserie. Dieser Wagen war zu schade für einen schmutzigen Feldweg. Wenn er der Besitzer eines derartigen Fahrzeugs gewesen wäre, hätte er es nicht riskiert, solche morastigen Wege zu befahren. Dies war kein Lieferwagen, kein Auto, das man nur für die Arbeit brauchte.
    Sie stand mit einem Besucher an der Haustür, in ein Gespräch vertieft. Er war im mittleren Alter, trug einen Anzug und wirkte im Vergleich zu ihrer frischen, sonnengebräunten Hautfarbe ziemlich blaß. Von den beiden ging eine Spannung, eine Ernsthaftigkeit aus, die den jungen Mann zurückhielt. »Wissen Sie«, hörte man die Stimme des Arztes deutlich, »daß er eigentlich ins Krankenhaus müßte?«
    Unbewußt strich das Mädchen über ihren Unterarm, vom Handgelenk bis zum Ellbogen, wie sie es immer tat, wenn sie unruhig war. »Es ist schon schwer genug, ihn dazu anzuhalten, im Bett zu bleiben«, sagte sie.
    Ein Mähdrescher brummte und übertönte das Gespräch, als er sich dem Feldweg näherte. Er wendete auf dem Grasstreifen und wirbelte eine mit Pollen durchsetzte Staubwolke auf, die vom Wind erfaßt wurde und den Besucher dazu veranlaßte, zum Taschentuch zu greifen. Als sie vorübergezogen war, fragte er: »Hat er keine Verwandten?«
    »Soviel ich weiß nicht.« Ihre Finger strichen über den gebräunten Unterarm. »Ich schaue vorbei, wenn ich Zeit habe. Wir sind die nächsten Nachbarn.«
    Der Arzt zog schniefend die Nase hoch. Durch die Wohnzimmertür hindurch ließ er einen tränengetrübten Blick über den Garten und das wuchernde Unkraut darin gleiten. Auch die Hecke wuchs üppig: Sie war mit knospenden und blühenden Dornsträuchen durchsetzt. Niemand sprach. Das Summen der Bienen löste das Knattern des Treckers ab. Laut und beständig erklang ihr Gesumm aus einem alten, verwachsenen Fliederbusch.
    »Ich verstehe«, sagte der Arzt schließlich. »Er ist sehr schwierig.«
    »Er ist schwierig, ganz recht. Fast unmöglich ist er.«
    »Wir müssen etwas unternehmen. Da er sich weigert, sein Haus zu verlassen … Ich werde wieder vorbeikommen.«
    Das Mädchen rieb über ihren weichen Arm, sah den Arzt offen an und sagte: »Das wäre gut. Ich bin beunruhigt. Wir machen uns Sorgen um ihn.«
    Der junge Mann am Gartentor dachte, daß sie in ihrem Verhalten und ihren Gefühlen eine Unkompliziertheit an den Tag legte, die gut zu dieser einfachen, ländlichen Umgebung paßte. Mit lautem Getöse kehrte der Trecker zurück, eine weitere Reihe war abgemäht. Er blieb mit laufendem Motor stehen, und aus dem Führerhäuschen hörte man ihren Vater herausrufen: »Werde ich dort gebraucht?«
    Und sie antwortete: »Nein, Pa!« und gab ihm durch einen Wink zu verstehen, daß er weitermachen konnte. »Wilderer würde für mich mehr tun als für sich selbst«, erzählte sie dem Arzt. »Wenn irgend jemand mit ihm klarkommen kann, dann bin ich das, glaube ich.«
    »Er ist nicht« – der Arzt zögerte und suchte nach anderen

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