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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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Sonnenlicht schien das Böse weit entrückt zu sein. Rohrammern zwitscherten und tauchten im Flug zwischen Korbweiden hinab. Schilfrohrsänger ließen ihren berückenden Gesang ertönen; ihre kunstvollen Nester hatten sie an den dichtstehenden Schilfrohren befestigt. Bachstelzen schwirrten umher. Einige Tiere, die auf den Hügeln lebten, waren hierher angelockt worden. Ringeltauben und Amseln tranken, wo sich Ochsen gewälzt hatten; dem Mädesüß entströmte ein Duft, der die ganze Ebene erfüllte.
    Wenn die Sonne schien, sah sogar die Pumpstation harmlos aus. Die struppigen Nester der Spatzen um das flache Dach herum wirkten wie Verzierungen. Aber Scrat ließ sich durch Äußerlichkeiten nicht täuschen. Es stimmte, viele der kleineren Vögel waren von der Gewaltherrschaft nicht betroffen. Doch frag die Häsin oder den Kiebitz danach, was hier vor sich ging. Die Häsin brachte ihre Jungen nicht mehr in der Marsch zur Welt, sondern suchte das hügelige Land auf, wo es sicherer war. Und der bodenbrütende Kiebitz hatte sich ebenfalls irgendwo einen anderen Platz gesucht, um seine zweite Brut aufzuziehen. Frag den Reiher: Er wußte, warum die Zahl der Fische abgenommen hatte. Frag den Frosch, warum er um sein quakendes Volk bangte. Der Schrecken beherrschte die Marsch – und er hieß Nerz.
    Scrat wartete an dem Tor zur Marsch, als Kine erschien. »Es ist schrecklich, Kine. Bundas Ansicht nach spitzt sich die Lage zu. Die Neuigkeiten sind furchtbar.«
    Doch Kine hatte gute Neuigkeiten. Seine Nachkömmlinge wuchsen heran. Sie hatten sich endlich aus dem Baum herausgewagt. Kia war am See entlanggegangen, und sie hatten sich mit ihr gebalgt. Der Anblick erfreute Kine, der ihre Entwicklung mit wachsendem Stolz genau verfolgt hatte: ihre Entwöhnung, den Glanz ihres Fells, ihre Wesensart, die sich allmählich herauskristallisierte. Ein Weibchen, ein sehr kleines, legte das gleiche Feuer und die gleiche Unverfrorenheit wie ihre Mutter an den Tag; die Schalkheit sprach aus ihren funkelnden Augen. »Sie werden bald auf die Jagd gehen, dann paß auf, daß du mit heiler Haut davonkommst, Scrat. Du hast genau die richtige Größe für sie!«
    »Bunda hat gesagt…«
    »Weißt du«, träumte das Wiesel, »es kommt mir so vor, als ob ich meine ersten Ausflüge erst gestern gemacht hätte.« Kine blickte auf das Feld, auf dem das abgemähte Heu in Reihen zusammenlag. Margeriten und blühender Klee standen in Büscheln zusammen, wo der Mähdrescher sie verschont hatte. Kine rief sich ins Gedächtnis zurück, wie er den Wiesenklee und die Hopfenluzerne entdeckt hatte; er erinnerte sich an das Knistern und Krachen der aufbrechenden Stechginsterhülsen in der Mittagssonne. Solche Ausflüge würde er mit Kia und ihren gemeinsamen Nachkömmlingen unternehmen.
    Scrat jammerte. »Die Nerze dehnen ihr Herrschaftsgebiet aus. Letzte Nacht sind sie losgezogen. Sie werden vielleicht ins Hügelland einfallen. Ich bin mir nicht sicher, aber wenn sie den Graben heraufgekommen sind…«
    »Du kommst von Bunda?«
    »Ja.«
    »Froschgeschwätz.« Kine glaubte nicht daran. Der Graben war ausgetrocknet. Er verfolgte ihn mit seinen Augen bis zum Waldrand. Knabenkraut blühte dort, klein und leuchtend, neben Roten Lichtnelken und den hochgewachsenen Glocken der Fingerhüte. Er sagte: »Der Frosch ist ein Panikmacher. Er hätte es wohl gerne, daß ich Angst bekomme, um mir eins auszuwischen. Nerze bewegen sich im Wasser voran. Wenn sie tatsächlich weiter vordringen wollten, dann wären sie gekommen, als der Graben voller Wasser stand.«
    »Niemand kennt sie besser als die Seefrösche. Wenn sie den Bachdurchlaß einmal erreicht haben, gehört der See ihnen.«
    »Über trockenes Land?«
    »Wer soll sie aufhalten? Wer, Kine? Wilderer hätte es geschafft, mit seinem Gewehr, aber Wilderer kann nicht mehr. Du wolltest, daß ich dir Informationen bringe. Und jetzt willst du sie nicht haben!« Scrat war am Verzweifeln.
    Sein Wimmern rührte ihn, und Kine sagte: »Du hast ja recht. Mach weiter so, Scrat. Versuche, Informationen zu bekommen – man kann nie wissen. Wenn Bunda recht hätte, würde es ein großes Unglück sein. Aber jetzt sehe ich nichts, was darauf hindeutet. Nebenbei bemerkt, die Saatkrähen – sie wären aufgeflogen. Denn die Nerze fallen auf, wenn sie das Wasser verlassen.«
    Er blickte zurück zum Wald. Irgendwie schien ihm die Angelegenheit doch etwas unklarer zu werden. Er begann, alles noch einmal zu überdenken, und als Scrat erneut sprach,

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