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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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wiederholte die piepsige Stimme die Zweifel des Wiesels. »Die Saatkrähen halten keine Ausschau mehr. Sie sind auf den Futterplätzen.«
    »Einerlei …«
    »Ja, Kine?« Der Winzling wartete, doch Kine schwieg geistesabwesend, und Scrat wußte, daß es unmöglich war, an ihn heranzukommen. Irgendwo, weit entfernt vom Tal, grollte ein Sommergewitter. Wenn ein Wiesel eine derartige Haltung eingenommen hatte, stumm wie ein Stein, den Kopf erhoben, die Augen unbeweglich, dann weilte sein Geist nicht auf der normalen, sondern auf einer anderen Ebene. Scrat hatte Wiesel beobachtet, die mehrere Minuten lang dastanden, als ob sie sich in einem Trancezustand befunden hätten. Schließlich sagte Kine: »Gut, die Kleinen brauchen Futter. Heute jage ich. Morgen werden wir ihnen die ersten Schritte zur Eigenständigkeit beibringen.«
    Das Unwetter rumpelte in der Ferne. Aber das war nicht der Ruf, der ihn erreicht hatte – der plötzliche Impuls, der mit Angst erfüllt war, der stille Schrei, den er irgendwie wahrnahm. Doch die Sonne schien; der Gesang der Vögel war zu hören. Und das innerliche Bild, das er gerade vom Mondsee erhalten hatte, mit auftauchenden Monstern, war sicherlich – ebenso wie der Schrei – durch Scrats Geschichten hervorgerufen worden. »Du solltest einmal versuchen, mit dem Reiher zu sprechen. Er ist zuverlässig. Bunda ist ein Schwätzer. Wenn Bunda nicht quaken kann, ist er auch nicht zufrieden.«
    Kine ging langsam an der Hecke entlang und schnupperte an Erdlöchern und düsteren Schlupfwinkeln; der starke Geruch des frischgemähten Heus lenkte ihn ab. Wie so viele andere Dinge des Sommers versetzte ihn der bekannte Duft in seine Kindheit zurück, und er dachte an die sorglosen Stunden, die mit den neuen Freuden und Pflichten der Elternschaft wiederauflebten. Kias Jungen waren eine Pracht, und auf die kleinste von ihnen war er besonders stolz. Sie ließ ein betörendes, leises Knurren hören, und wenn sie nicht beachtet wurde, lenkte sie die Aufmerksamkeit auf sich, indem sie leicht zuschnappte. Sie war Kia sehr ähnlich – eigenwillig, besaß aber gleichzeitig die Gabe, einen zu erfreuen, ein schlaues, kleines Wiesel. Er hatte sie beobachtet, wie sie sich an einen Käfer heranpirschte und sich, vor Aufregung zitternd, auf ihn stürzte; und dann, als sie ihn sah, schnappte sie nach seinem Schwanz und zog übermütig daran. Einen Augenblick später lag sie auf der Erde und war fest eingeschlafen.
    Ein paar Worte fielen ihm wieder ein: Die Aufgabe wird deine ganze Kraft beanspruchen. Das war eine treffende Bemerkung gewesen. Wenn alle schliefen, weckten die kleinen Nachkömmlinge ein derart ausgeprägtes Gefühl der Fürsorge in ihm, daß er ihre Verwundbarkeit kaum ertragen konnte. Kia hatte es vor der Geburt schon gewußt. Die Worte stammten von ihr. Nun verlangten die jungen Wiesel nach Fleisch, und Kine lief schneller.
    Die Saatkrähe entdeckte ihn auf dem Heufeld, zwischen den hohen Reihen. Die Mähdrescher ließen manchmal Aas zurück, und obwohl Kine seine Nahrung lieber selbst tötete, überwanden die Forderungen der jungen Mäuler seinen Stolz. Tümmlerartig durchstöberte er die gemähten Graswogen. Der Wächter bohrte überdrüssig nach Würmern. Er war von einem unbeholfenen Sohn begleitet, der noch mit seinen Kopffedern protzte, während der Erwachsene schon kahl im Gesicht war. »Schließ dich den Arbeitern an, Kine. Die Elternschaft ist eine schwere Strafe.«
    »Eine hohe Belohnung.« Kine streckte seinen Kopf aus dem Heu. »Ein fünffacher Segen, Wächter. Eine hohe Belohnung.«
    »Huh!« sagte die Saatkrähe und pickte in den Boden. »Fünf Wiesel mehr in diesem Land – wir sollten feiern!«
    Die Talmulde verdunkelte sich, als eine Wolke vorüberzog, dann kam die Sonne wieder durch. Kine blickte auf die Marsch hinunter, auf die vielen Wasserwege, die durch die Üppigkeit des Sommers eingeengt wurden. Nerze im Mondsee! Auf dem Flachland lebten sie, ihre Futterplätze waren die wilden Fluß- und Kanalufer. Dort, wo die Halme der Schilfgräser im Schlick verschwanden, glitten sie ins Wasser und zogen die zappelnden Enten und Schermäuse in die Tiefe. Die Vögel in der Marsch fielen den Räubern zum Opfer, ebenso Bundas Volk. Aber die Alpträume der Froschgemeinschaft konnten sich auf den Hügeln nicht wiederholen. Der Schrecken war ein Problem der Marsch. Und bevor Kias Jungen nicht herangewachsen waren, konnte sich Kine nicht um dieses heimgesuchte Gebiet kümmern.
    Bunda quakte. Vom

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