Das Tal der Wiesel
Der Alte fügte hinzu: »Ihr braucht eine Taktik. Wer führt euch an?«
»Ford!« rief jemand. Das funkelnde Auge suchte Kine und starrte ihn an; durch den anhaltenden Blick regte sich sein Verantwortungsgefühl. »Ich«, sagte Kine. »Ich führe das Wieselvolk an, denn Kia gehörte zu mir, ebenso wie ihre Jungen – und dies ist mein Land. Dies ist mein Revier, ich kenne alle Wege hier. Und ich kenne seine Bewohner. Ich bin das Wiesel Kine, habe die Ratte getötet und gegen die Schleiereule gekämpft …« Ford blickte ihn wild an, erinnerte sich an ihre Auseinandersetzung. »Wenn du etwas dagegen hast«, sagte Kine herausfordernd, »dann kämpfe um die Führung. Doch ich bin Kine, der Unbesiegte, und ich werde dich bezwingen.«
Er sah, wie Ford mit den Zähnen knirschte, wie er angestrengt versuchte, sich zurückzuhalten. Dann wirbelte ein plötzlicher Windstoß, der den Regen ankündigte, Staub auf und fegte durch das Fell der Wiesel, die beobachteten, wie Ford mit den Achseln zuckte. »Er war Kias Gefährte«, gab das Sumpfwiesel schließlich nach. »Ich erkenne seine Führung an.«
»Und bist mein Stellvertreter?«
»Einverstanden.« Ford bäumte sich wild auf. »Vorwärts! Mit Kine zum Kanal!«
»Nein!« stieß Kine barsch hervor, als es anfing zu regnen. »Wir haben einen klugen Ratschlag von einem alten, erfahrenen Wiesel gehört, und wir werden uns danach richten. Erst einmal werden wir uns besprechen. Erst der Plan, dann können wir loslegen. Wir werden uns nicht zurückhalten, aber wir wollen etwas haben für unsere Aufopferung, die bestmögliche Rache …« Die ersten Regentropfen waren kräftig, verursachten Flecken auf dem Galgen und hinterließen kleine Krater im Staub. Allmählich vermehrten sie sich in der Dunkelheit, klangen auf dem Blätterdach des schlafenden Waldes wie Hufschläge. Rat-tat, prasselten sie auf die Scheune und auf das Dach von Wilderers Häuschen. Kine stand unter dem Holunder, und als die anderen Schutz suchten, vertiefte sich das alte Wiesel in seine Erinnerungen. »Es ist lange her«, sagte er schließlich.
»Ja.« Die Blätter erbebten und schüttelten die Tropfen ab, die bald so zahlreich wurden, daß sich winzige Wasserfälle bildeten. »Das mit Kia betrübt mich sehr«, murmelte das alte Tier. »Du weißt, daß ich sie getroffen habe. Ein nettes Wesen; deine Mutter hätte sie freudig willkommen geheißen.« Einauge seufzte. »Deine Mutter ist auch gestorben. Vielleicht hast du es schon gehört …«
»Nein.«
»Im letzten Winter. Ihre Kräfte begannen nachzulassen. Der Frost hat ihr übel mitgespielt.«
»Ich wußte es nicht.« Der Regen hatte sich nun zu einem Sturzbach entwickelt und bekam in der Nacht Unterstützung von einem Sturm, der an den Ästen zerrte, gerade flügge gewordene Vögel aus den Nestern schleuderte, Kräuter und Farne auf den Boden drückte. Kine war betroffen. Er hatte sie seit seiner Jugend nicht mehr gesehen, doch der Verlust schmerzte. Die Gräben waren zu reißenden Bächen geworden, der See brodelte. Es schien unglaublich, daß derartige Wassermengen in einer Sommernacht so schnell vom Himmel kommen konnten, daß die Wolken solch ein gewaltiges Gewicht hatten tragen können. Benommen dachte er an Kia und ihre Jungen – und nun war auch die alte Wieselin gestorben. Kine sagte: »Ich habe sie nicht mehr gesehen, seitdem ich aufgezogen worden bin und sie mit dir weitergezogen ist. Bist du noch immer mit ihr zusammengewesen?«
»Bis zum Ende, Kine.« Sein Gesicht war von Leiden gezeichnet und von einer narbigen Heiterkeit, als ob sein einziges Auge den ewigen Frieden erblickt hatte.
»Man lebt anfangs zusammen, dann lebt man allein; das ist die Art des Wiesels.«
»Reviermäßig, aber nicht vom Geist her gesehen.«
Das Unwetter zog nun vorüber. Der Sturm legte sich, und der Regen fiel unbelästigt in dünner werdenden Fäden, ließ nach und verwandelte sich in einen Nieselregen, der kaum die Oberfläche der Pfützen bewegte, die sich so schnell gebildet hatten. Bachdurchlässe gurgelten; in der wäßrigen Dunkelheit platschten und spritzten Tropfen von unzähligen Blättern herunter.
»Nicht vom Geist her gesehen«, sagte Kine. »Da hast du recht.«
Sein Vater nickte. »Und du mußt den Kampf gegen die Nerze vorbereiten.«
12. Kapitel
Gru näherte sich dem Getöse, dem Donnern der Pumpe. Sie war fasziniert von der Kraft und der Gewalt der rotierenden Schraube. Ihr gefiel das Peitschen des Wassers in der stählernen Spirale, der
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