Das Tal der Wiesel
zum Holzhaufen zurück, erschien erneut, ein fünftes Junges ausscheltend, und schloß sich den anderen wieder an.
Doch noch niemals hatte der Mann ein so schwaches Junges allein gesehen. Es war ein bedauernswertes Geschöpf mit einem weißen Bauch. Eine häßliche Wunde, die quer über den Nacken verlief, deutete darauf hin, daß es einer gewaltsamen Auseinandersetzung nur knapp entronnen war; noch zu jung, um sich richtig zu wehren, lag Kias kleinste Tochter erschöpft da und schrie nach Futter. Wilderer hob seinen Stock. Ihm wurde schwarz vor Augen. Er stellte den Stock auf den Boden und stützte sich auf ihn. Dann, als die Sicht wieder klarer wurde, sah er, wie die Wieselin zu ihm heraufblickte. Wir befinden uns im gleichen Boot, dachte er, beide stecken wir in einer mißlichen Lage.
Vorsichtig bewegte er seinen Stock auf die Wieselin zu und beobachtete, wie sie ihre Zähne fletschte. Kaum kräftig genug, um zu laufen, gab sie nicht auf, solange sie noch atmen konnte. Ein echter dandy hound, sagte er bei sich. »Verdammtes Raubzeug«, knurrte er. Dann sagte er beinahe liebevoll: »Hab’ noch nie davon gehört, daß ein Wiesel sein Junges im Stich gelassen hat. Laß dich mal ansehen. Was du brauchst, ist etwas zu Fressen. Du bleibst erst mal hier.«
Zehn Minuten waren vergangen, als das Mädchen erschien. Sie fand ihn, blaß und erschöpft, im Wohnzimmersessel. Er hätte nicht aufstehen dürfen. Sein Zustand erschreckte sie, und sie trat auf ihn zu. »Mein Gott, was hast du denn gemacht? Wie du aussiehst!«
»Das geht dich nichts an.«
»Aber natürlich. Der Arzt hat angeordnet, daß du im Bett bleiben sollst.«
»Die letzten Anordnungen habe ich im Krieg befolgt, Mädchen. Zur Hölle mit Anordnungen in meinen Sterbestunden!«
»Dummes Zeug!« Das Mädchen stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf und stieß die Worte heftig hervor, verwünschte ihre Besorgnis um den niederträchtigen Mann. Zweimal am Tag war sie gekommen, um zu kochen, für ihn zu sorgen und den Hund auszuführen, und so bedankte er sich dafür. »Du und sterben!« rief sie wütend. »Ein Quälgeist bist du!«
»Ich hab’ den Baum gesehen, Mädchen.«
»Idiotischer Heide!«
»Das bin ich nicht«, erwiderte Wilderer mit rauher Stimme.
»Den Baum gesehen!«
»Denn kein Heide hat Gott erblickt«, protestierte der Mann. »Und ich habe ihn gesehen, sehr oft sogar.« Er leckte sich über die Lippen. »Ja, sehr oft. Mädchen. In den Augen eines Fasans, in dem Schimmern eines Fisches, in dem davonlaufenden Hasen. So erfüllt werde ich sterben.«
»Du hast Seine Kaninchen gewildert!«
»Gerade genug für den Kochtopf und vielleicht ein oder zwei Schillinge.«
»Und hast Ihn gelästert«, seufzte sie mitleidsvoll.
»Das Wildern hat ein Ende. Und zusammen mit mir werden auch die Wälder erledigt sein.«
»Wie rührend.« Das Mädchen ging in die Küche und drehte den Wasserhahn auf. »Sieh mal lieber zu, daß du wieder zu Kräften kommst, die Nerze sind am Wüten. Sie sind über Mullens Hühner hergefallen; dreißig Stück haben sie getötet. Einfach so liegengelassen. Ich mache noch einen Tee, dann ist es Zeit, daß du dich wieder ins Bett legst.«
Sie brachte zwei Becher und Kuchen. »Wenn du ins Krankenhaus gingest, würden sie dich wieder in Ordnung bringen.«
»Du steckst mit ihnen unter einer Decke.«
»Niemand verschwört sich gegen dich«, schnaubte sie ärgerlich. »Ich sag’s dir nur. Du solltest ins Krankenhaus gehen, das ist der richtige Platz für dich.«
»Laß sie nur kommen«, meinte Wilderer zu ihr. »Ich hab’ mein Gewehr.«
»Was für ein Narr du bist!«
Seine Augen verengten sich. »Das glaubst du doch nicht wirklich. Wir haben eine schöne Zeit verbracht. Erinnerst du dich noch, als ich dich zum Fischen und zum Beerensammeln mitgenommen habe oder als wir in der Marsch junge Aale gefangen haben – da warst du noch sehr klein. Ich habe dir den Reiher gezeigt, dich mit wilden Birnen vollgestopft. Die alte Bohle brach durch, weißt du noch, am langen Kanal. Ich hab’ dich wieder herausgefischt. Und wie deine Mutter mich da in die Mangel genommen hat. Erinnerst du dich?«
»Ich erinnere mich.« Sie betrachtete ihn argwöhnisch. »Was denkst du wohl, warum ich nun hier bin und für dich sorge?«
»Deine Mutter hat dich gut erzogen«, schnaufte Wilderer. »Du hast dich gut entwickelt.«
»So, hab’ ich das?«
»Nicht ganz so hübsch wie deine Mutter, aber ein gutes Mädchen. Kannst einen anständigen Kuchen backen.
Weitere Kostenlose Bücher