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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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Das ist ein guter Name, er gefällt mir. Außerdem, Einauge, gefällt es mir nicht mehr, allein zu sein. Es gefällt mir, ein anderes Wiesel zu treffen. Nicht irgendein anderes Wiesel, sondern meinen Großvater, Kines Vater«, frohlockte sie. »Das ist wundervoll!«
    Sie sauste tänzelnd zwischen hohen, spröden Stengeln und den knorrigen Stämmen der Obstbäume hindurch, wirbelte die trockene Erde der Maulwurfshügel auf und zerriß Spinngewebe, so daß die an ihnen haftenden Tautropfen in die Luft gesprüht wurden. Sie bewirkte, daß sich Einauge trotz seiner körperlichen Altersschwäche wieder jung fühlte. Er verlor Wunder aus dem Auge. Mit einer verwirrenden Lebendigkeit lief sie aus einem grasbedeckten Erdloch erneut in sein Blickfeld, tollte einmal um ihn herum und jagte wieder davon. Sie verkörperte den Geist der Jugend an diesem uralten Ort.
    Wilderers Obstgarten ließ flechtenbewachsene Äste über sie schweben, ein bemoostes Mausoleum, seit langem von menschlicher Arbeit unberührt geblieben und stellenweise doch mit heranreifenden Früchten überladen. Jeden Winter kamen seine archaischen Bewohner wieder zum Vorschein. Er wurde zu einem Friedhof von graufingrigen Geistern, zu einem schauerlichen Niemandsland mit narbigen Baumstämmen und zuschnappenden Ästen. Pilze klebten an den Rinden wie geronnenes Blut. Doch im Frühjahr bewegte eine hartnäckige Erneuerung die bejahrten Äste dazu, sich ein weiteres Mal mit Blättern und Blüten zu schmücken.
    Aus den verhutzelten Baumwipfeln heraus ließ die Misteldrossel dann plötzlich ihr Lied erklingen, während in einer alten Astgabel das silbrige, napfähnliche Buchfinkennest auftauchte. Bald schwollen die Früchte des wehmutsvollen Alterns an. Knorrige Bäume ließen rote Äpfel wie Weihnachtskugeln herabhängen. Andere brachten Kostbarkeiten hervor, grün und bitter, deren Verwendbarkeit – vielleicht für irgendeinen Zider – in Vergessenheit geraten war. Purpurrote Haferpflaumen, etwas größer als die Früchte der Schlehe, hingen haufenweise neben kleinen, ockergelben Birnen mit schmirgelartiger Schale. Auch Maulbeeren gab es dort. Sie wuchsen an einem Baum, der so ausgetrocknet, durch sein Alter so entstellt war, daß ihre schwarzrote Saftigkeit wie ein Wunder wirkte.
    Dazu kamen viele durchdringende Gerüche: In sonnengefleckten Laubengängen verschmolz der angenehme Duft süßer Äpfel mit den schweren Düften angeschlagener und gärender Birnen. Dort wuchsen Obstsorten, die würzige Wohlgerüche verbreiteten oder eine leicht berauschende Wirkung hatten. Am stärksten war der Geruch, den die abgefallenen Früchte ausströmen ließen, ihr Fleisch durchbohrt von Wespen, die aus ihren Nestern in der rissigen Erde hervorschwirrten und unablässig arbeiteten.
    Nun war es ruhig hier. Nur das schwingende Gesumm der Wespen in ihren zurechtgemachten Höhlen durchbrach das Schweigen, bis der dumpfe Aufprall eines Fallapfels Wunders Übermut stoppte. Sie beschnupperte die matschige Frucht, die ätzend roch, aber nicht stark genug, um den Nerzgeruch zu vertreiben. Der abstoßende Gestank der Monster ließ ihren Speichel bitter werden, ihre Ausgelassenheit versiegte. »Sie sind hiergewesen, am Hühnerstall«, rief sie aus.
    Einauge schnupperte ebenfalls und gab ihr recht. »Aber die Fährte ist kalt. Sie sind wahrscheinlich irgendwann in der letzten Nacht gekommen.« Mitfühlend bemerkte er die nervöse Angespanntheit des kleinen Tieres. »Keine Bange, sie sind nicht mehr hier. Höchstwahrscheinlich haben sie einen Weg in den Stall gesucht und keinen gefunden.«
    »Der gleiche Geruch wie in dem Alptraum …«
    »Keine Bange. Wir werden darauf vorbereitet sein, falls sie zurückkommen sollten, aber auf sie wartet eine noch größere Überraschung«, munterte er sie auf. »Kine mit der Wieselbande auf ihrer Türschwelle!«
    »Ja.« Ihr Gesicht erhellte sich. »Ich fürchte mich nicht vor ihnen, Einauge. Meine Mutter hat sich auch nicht gefürchtet.«
    »Kia ist tapfer gewesen.« Er blickte sie von der Seite her an. Es war zu wenig Zeit vergangen, um ihre bösen Erinnerungen abzuschwächen. Sie hatte den schweren Schock am Mondsee noch nicht ganz überwunden. Doch die Jungen waren unverwüstlich. Er sagte: »Mir gefällt diese Stille nicht – es wird bald regnen.«
    Sie lachte lauthals, ihre quirligen Lebensgeister kamen wieder durch. »Regen? Aus einem blauen Himmel? Wie kommst du denn darauf; die Sonne scheint, läßt die Äpfel reif werden. Sei nicht so

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