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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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der Wasseroberfläche und hinterließ Leere.
    Der Ort erinnerte Kias Tochter an böse Erlebnisse. Sie hielt sich lieber in Wilderers Garten auf. »Hat Kine hier immer schon gelebt?« fragte sie nachdenklich.
    »Du stellst mir Fragen, während ich schlafe?«
    »Es ist nur, weil mir der Platz nicht geheuer ist, ein bedrückender Ort.« Sie zitterte, als sie auf die Höhlung sah, in der ihre Angehörigen niedergemetzelt worden waren. Eine Seite der Silberweide war vertrocknet. Leblose Gliedmaßen streckten sich gespensterhaft aus und belästigten mit starren Fingern das Blätterwerk der Nachbarn. Ein Ast war abgebrochen. Er lag, grau und morsch, am Ufer neben einem Friedhof kleinerer Zweige. Wie lange würde es noch dauern, dachte sie, bis der Rest zusammenstürzte?
    »Ein Baum des Verderbens«, murmelte Wunder. »Ich weiß nichts über Lebensbäume. Dieser ist abscheulich.«
    »Wie das jugendliche Geplapper.« Einauge richtete sich knurrend auf. »Im Tod ist Leben, und alles was lebt, verändert sich«, sagte er krächzend, »nur nicht das endlose Geschwätz der Unwissenden.«
    »Ich wage zu behaupten, daß du es dem Schweigen vorgezogen hast, als du so alt warst wie ich.«
    »Wenn du erst mein Alter erreicht hast, ist ein Augenblick Schlaf so wertvoll wie ein Monat voller Worte.«
    »Dann befinden wir uns am richtigen Ort, denn es ist hier so still wie in einer Gruft.« Sie strich über ihre Schnurrhaare und dachte laut nach: »Ich glaube, daß ich ab und zu hierherkommen werde, um mich an meine Mutter zu erinnern, aber leben kann ich hier nicht. Es ist ein böser Ort. Ich werde mich lieber in der Nähe von Wilderer niederlassen. Er ist gut zu mir gewesen.«
    »Bah!« Es war paradox – ein Wiesel von einem Wieseltöter gerettet –, der Alte konnte es nicht begreifen, und er döste unruhig ein, voller Zweifel. Einmal schreckte er hoch, dachte, daß Wunder noch immer am Plappern war, doch sie war verschwunden, der Wald friedlich, und sich in der warmen Sonne zusammenrollend, schlief er wieder ein.
    Saatkrähen flatterten über dem Wald. Kias Tochter lief umsichtig voran, nicht so unaufmerksam, wie Einauge befürchtete. Vor menschlichen Behausungen hatte sie keine Angst, doch durch den Alptraum am See war sie gegenüber anderen jagenden Tieren und auch gegenüber dem Gewässer selbst mißtrauisch geworden. Weder das helle Sonnenlicht noch das vertraute Gekrächze der Krähen beschwichtigten ihren Argwohn. Die Bewegungslosigkeit des Wassers beunruhigte sie ebensosehr wie die tiefschwarzen Morgenschatten an den Stellen, wo sich die Nesseln erhoben. Sie mißtraute den Baumstümpfen, in deren Innern sich Verstecke befanden. Sie sehnte sich nach Gesellschaft. Vor allem sehnte sie sich nach Kine, nach der Sicherheit in seiner Gegenwart, an die sie sich schwach erinnerte, und niemals hörte sie auf, seine glückliche Rückkehr herbeizuwünschen.
    Sie dachte an Einauge. Er mochte sie. Er sah sich ihre Vorführungen an, doch er wurde schnell müde und schlief viel. Wunder amüsierte sich über sein mürrisches Gegrummel. Sie machte einen Satz, wurde von Efeublättern geschmückt und blieb plötzlich stehen. Ihre Ohren waren gespitzt, und ihre Augen inmitten des Efeus blickten starr, die Fröhlichkeit war aus ihnen verschwunden.
    Vor ihr lag eine kleine Lichtung, auf der Kaninchen gekämpft hatten und einst Äste und Zweige hin- und hergeschwankt waren; quer darüber befand sich eine umgestürzte Birke, die noch etwas verwurzelt und teilweise belaubt war. Noch nicht ganz auf dem Boden, bildete der geneigte Baumstamm eine Brücke, unter der, vom Feldweg aus in Richtung des Sees, also direkt auf Wunder zu, Gru und ihr Gatte schlurfend herankamen. Die kleine Wieselin starrte sie wie versteinert an. Dann lief sie in wilder Eile zum Seeufer zurück. Sie mußte den schlafenden Einauge wecken. Sie konnte nur noch daran denken, ihn zu warnen. Aber als sie durch das Unterholz raste, regte sich zum erstenmal der kühne Wieselwiderstand in Wunder: der Drang umzukehren und sich fauchend und zähnefletschend dem Kampf zu stellen. Sie konnte die Monster hinter sich hören, die sich schwerfällig bewegten, die Mörder ihrer Mutter, und ihr Abscheu verstärkte sich. Haß kam in ihr auf. Vor Ungestüm verkrampft, erreichte sie das alte Wiesel.
    »Langsam, langsam«, beruhigte er sie. »Sind sie dir gefolgt?«
    »Ich habe sie abgehängt. Sie werden die Spur aufnehmen. Ein schwarzer Dämon und ein brauner – riesige Tiere.«
    »Gru und

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