Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
Vom Netzwerk:
Wilderer sie bewegte, sah er eine stachlige Kastanienschale vor sich, die sich schon öffnete, um ihre glänzende Frucht zu befreien.
    Das hatte sich nicht geändert – die Freude aus der Kindheit über das satte Braun, die gleiche Farbe wie der Schaft des Gewehres, das neben ihm lag. Er blickte auf das silberne, ziselierte Kolbenblech und verfluchte sich selbst. Schon wieder rannte ihm die Zeit davon. Die Sonne stieg langsam empor. Sie duckte sich unter einem Blättergewölbe und vergoldete die weichen Konturen. Der Wald erwachte. Umherstreifende Fasane suchten die Sonnenstrahlen auf; kleinere Vögel putzten sich in dem warmen Licht. Tauben raschelten. Aus der Marsch rief ein Brachvogel, ein weiterer Schatten aus Wilderers Kindheit. Er versuchte sich zu erheben. Er kam in eine Hockstellung, schaffte nicht mehr und ging wieder zu Boden.
    Mühsam streckte der Mann einen Arm aus und zog das Gewehr an sich heran. Der Geruch der Erde, den er, die Nase dicht über dem Boden, einatmete – ebenso wie ein Wiesel ihn wahrnehmen würde –, verlieh ihm neue Kräfte, und Wilderer begann zu kriechen, schleppte sich voran, seine Waffe in der Armbeuge eingeklemmt.
    Über ihm flatterten einige Saatkrähen und krächzten im Blätterdach des Waldes. Seitdem ihre Jungen ausgewachsen waren, hielten sie sich außerhalb des Tales in ihren Winterschlafplätzen auf. Doch jeden Morgen kehrten noch einige von ihnen, als ob sie von Sehnsucht getrieben wurden, zu den leeren Nestern in den hoch gelegenen Baumkronen zurück. Dort, in den alten, nun heruntergekommenen Brutplätzen, die sich im Winde wiegten, lauerten Spinnen; und die Bruchstücke der Eierschalen, die von den Herbststürmen hinausgeworfen werden würden, legten Zeugnis ab von dem Dahinschwinden der Jahreszeiten und des Lebens.
    Wunder fragte: »Meinst du, daß die Wiesel den Burghügel erreicht haben? Meinst du, daß sich Kine in Sicherheit befindet?« Sie war munter in den Wald gehüpft, tänzelte mit elfenhafter Eitelkeit um Einauge herum, unbeständig wie eine Wolke, und fragte: »Wird er überhaupt zurückkommen? Was ist, wenn etwas Schreckliches geschehen ist? Ich wage gar nicht, daran zu denken.«
    »Denk nicht daran«, sagte Einauge mit rauher Stimme. »Ihm wird nichts passiert sein.«
    »Woher weißt du das?«
    »Er ist sehr erfahren.«
    »Aber er kennt nicht das andere Land.« Das neblige Grenzgebiet der Ungewißheit, dachte sie mit plötzlicher Furcht. Sie blickte aus dem Wald hinaus auf die ferne Ebene. Wer wußte schon, welche Gefahren sich ihm dort in den Weg gestellt hatten? Diese Gegend war nicht, wie das heimatliche Marschland, von Kanälen entwässert worden. Der große Sumpf war überflutet, seine Pfade versunken, und die fernen Hügel wurden von einem Rauchschleier verdeckt. Was wußten sie von den Gefahren, von den Geheimnissen dieser Anhöhen mit ihren blauen Wäldern? »Und angenommen, sie erreichen den Burghügel nicht?« jammerte sie.
    »Es ist Fords Land«, sagte der Alte schroff. »Er wird schon dafür sorgen, daß sie es schaffen.«
    »Dann müssen sie noch gegen die Nerze kämpfen!«
    »Deshalb sind sie losgezogen.«
    »Oh, Einauge …«
    »Es sind kampferprobte Wiesel. Sie sind erfahren«, sagte er gereizt, während er sie betrachtete. Im nächsten Moment würde sie wieder unbekümmert sein und unermüdlich umherspringen. Im Gegensatz zu ihm war sie nur manchmal beunruhigt, doch in beiden Fällen erschöpfte ihn ihre Heftigkeit. Er war zu alt; und zu besorgt, seitdem die Wiesel aufgebrochen waren. Er sagte: »Wir können jetzt nichts tun, und Geschwätz hilft auch nicht weiter.«
    »Nein, natürlich nicht.« Sie hüpfte beherzt davon. »Leg dich ruhig hin. Ich werde aufpassen. Du kannst etwas schlummern.«
    Sie betrachtete den Mondsee, der von der Sonne berührt wurde, und schnappte nach einigen Mücken. Pflanzen trieben im Wasser, und wo die Sonnenstrahlen hinkamen, öffneten weiße Teichrosen ihre Blütenblätter; diejenigen, die sich am Ufer im Schatten befanden, verharrten noch in schlafenden Knäueln. Um die Blätter herum hatte sich ein Schaumrand gebildet. Er war auch an den Stengeln des Bittersüß zu finden, die von einem dornstrauchbewachsenen Vorsprung aus ins Wasser ragten. Die einsame Stimmung wurde auch durch ein vereinzeltes Teichhuhn im Schilf nicht beeinträchtigt. Es war noch nicht ganz ausgewachsen, braunfarben und etwas unbeholfen; es zuckte nervös. Als es Wunder erblickte, raste es einige Meter davon, dann verschwand es unter

Weitere Kostenlose Bücher