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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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geschlichen und hatte mit wachsender Furcht die Pumpstation beobachtet. Wachtposten waren in dem Schlupfwinkel umhergelaufen. Widerliche Gerüche waren herübergeweht worden. Geräusche, die ihm kalte Schauer über den Rücken gejagt hatten, waren aus den lehmigen Tiefen gedrungen. Und trotzdem war Scrat – bei Nebel, Mondschein und dem Gequieke der Fledermäuse – an seinem Platz geblieben. Seine Nervosität war so stark, daß ihm alles weh tat.
    Der Morgen gönnte dem winzigen Spion keine Atempause. Als sich der Osten erhellte, erschien der erste Nerz. Er trieb wie ein Holzklotz im Wasser, bewegte sich langsam unter der Oberfläche, dann glitt er, kaum einen Sprung von der Spitzmaus entfernt, ans Ufer. Scrat beobachtete ihn zwischen den Halmen seines Schilfverstecks hindurch. Neben der abgeschrägten Betonwand an der Auslaßöffnung wuchsen unzählige Seggen, die in voller Blüte standen. Dort schüttelte sich das Monster, kletterte die Böschung zu dem kleinen Backsteinhäuschen hinauf, blieb noch einmal kurz stehen und schlüpfte dann durch einen bröckligen Spalt in das Fundament.
    Der angeschwollene Fluß strömte ruhig zur Küste. Mit den stecknadelkopfgroßen Augen der Spitzmaus gesehen, schien er unendlich breit zu sein. Wo das andere Ufer sein sollte, sah Scrat nur eine verschwommene Fläche. Faserige Schilfgräser, die von Luftwirbeln leicht berührt wurden, murmelten unermüdlich. Ihr sprunghaftes Geflüster beunruhigte ihn, und er war froh, als eine Ringeltaube auftauchte, die etwas trinken wollte. Für eine Weile sah sie sich um, schließlich senkte sie ihren weißberingten Hals und tauchte durstig ihren Schnabel ins Wasser. Sie trank nicht schlückchenweise wie die anderen Vögel, sondern nahm die Flüssigkeit, wie eine Kuh oder ein Pferd, mit einem gleichmäßigen Strom auf. Als sie ihren Durst gestillt hatte, erhob sie sich schwerfällig in die Luft, und Scrat war wieder allein.
    Einige Minuten später war der Wächter gelandet. Auf Gefahren vorbereitet, blickte er sich mit seinen perlenartigen Augen um. Doch ob er Scrats Versteck entdeckt hatte, ließ er sich nicht anmerken. »Bleib in Deckung.« Die Saatkrähe tat so, als ob sie trank. »Sie sind den Hügel hinuntergelaufen. Wenn es auf dieser Seite sicher ist, kommen sie sofort herüber.«
    »Sicher?« Scrat zitterte.
    »Sei leise.« Die Saatkrähe gab vor, im Wasser zu baden. »Bleib einfach ruhig und berichte. Sind die Nerze drinnen? Gibt es Wachtposten? Werd’ nicht nervös, du brauchst mir nur zu antworten.«
    »Genau – ein r-ruhiger Bericht …« Pflanzenbüschel trieben vorbei und Gruppen von blassen, undurchsichtigen Blasen. In Scrats Kopf wirbelten die Gedanken wirr durcheinander. Bunda war tot, ebenso die Hälfte seiner Sippe. Und er hatte nur knapp überlebt, sein Nervenkostüm war ein Wrack. Ein ruhiger Bericht? Jeden Moment konnten Wiesel aus dem Fluß auftauchen, und ein Gemetzel und Grausamkeiten würden das Ufer beherrschen. Die Saatkrähe brauchte nichts zu befürchten. Wenn Spitzmäuse fliegen könnten, wie mutig würde er dann am Ufer entlangschweben und ruhige Berichte verlangen! Doch die Spitzmaus war flügellos, ein flugunfähiger Winzling, und voller Furcht. Scrat schluckte. »Ja, sie sind drinnen. Wehe den Eindringlingen, Wächter. Es gibt kein Entrinnen aus der Höhle der Monster.«
    »Das ist nicht meine Sache, Scrat, und deine auch nicht. Wenn Kine verrückt genug ist …«
    »Kine ist nichts passiert?«
    »Bis dorthin ist er gekommen.« Die Saatkrähe betrachtete den Burghügel mit Augen, die unvergleichlich viel schärfer waren als die des grauen Winzlings. Er bewunderte die Geschicklichkeit der Wiesel, denn er entdeckte keine einzige Bewegung, und der Vogel wurde trotz seiner mürrischen Natur von wachsender Spannung ergriffen. Diese Phase war nun kritisch. Ohne ein Überraschungsmoment würde das Schicksal der Wiesel besiegelt sein, wären ihre Anstrengungen umsonst gewesen. Doch wenn sie es schaffen sollten, die Nerze zu überrumpeln, gab es nach Ansicht der Saatkrähe eine winzige Chance. »Ich hätte es nie gedacht«, sagte der Wächter, »doch es ist nun möglich geworden. Kine ist eben verrückt genug, und die anderen Wiesel stehen hinter ihm. Ob sie nun unbemerkt hineinkommen, hängt von dir ab, Winzling.«
    »Ja …« Die Spitzmaus ballte ihre unscheinbaren Fäuste. Kleine Ringe kräuselten sich auf dem Wasser; junge Fische schnappten nach Nahrung. Scrat sah, wie eine leere Dose, die in der Morgensonne

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