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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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Liverskin.«
    »Ich werde ihnen hoffentlich ebenso tapfer wie meine Mutter entgegentreten.«
    »Werd’ nicht albern.« Sein Auge suchte das Ufer ab. »Wir können nicht zwei ausgewachsenen Nerzen entgegentreten. Sie werden ins Marschland laufen. Das Wieselvolk wird sich mit ihnen befassen.«
    »Sollen wir nicht den Wald verteidigen?«
    »Indem wir uns opfern – eine kleine Wieselin und ein gebrechlicher Alter?« Er reckte seinen Hals und schnupperte. »Sie kommen, Wunder. Wir werden ihnen entwischen. Bleib dicht bei mir.«
    Die Nerze blieben neben dem Lebensbaum stehen. Ihre Köpfe bewegten sich langsam, suchten mit einer Bedächtigkeit, die schon fast an Leidenschaftslosigkeit grenzte, nach den Wieseln, dann erstarrten sie, als sie ihr Ziel entdeckt hatten. Wunder lief ein kalter Schauer über den Rücken. Der Schrecken ihres letzten Zusammentreffens ergriff sie wieder, eine beklemmende Angst, die einer furchtbaren Verzauberung glich, gegen die sie mit aller Kraft ankämpfen mußte. Die Nerze standen bewegungslos, regungslos wie die grauen Wurzeln der Silberweide, ihre Augen starrten die Wiesel mit Verachtung an, Wunder kam es so vor, als ob es nichts Schrecklicheres auf der Welt geben könnte, doch davonzulaufen wäre verkehrt. »Kia hat gekämpft«, rief sie aus. »Ich muß nach ihren Grundsätzen leben.«
    »Du mußt leben«, knurrte Einauge wütend. »Kia ist gestorben, um dir das Leben zu schenken.«
    »Komm her«, unterbrach Gru kalt. »Sie besitzt den Wieselgeist ihrer Mutter. Sie bittet inständig darum, eine tapfere Geste machen zu dürfen. Wir schenken ihr die Möglichkeit dazu.«
    »Und ich spucke in ihre Gesichter«, zischte Wunder, kochend vor Wut. »Du hast gesehen, wie ich tanzen kann, Einauge – meine Behendigkeit. Sollen sie sehen, was in mir steckt – daß ich die Tochter von Kine bin, dem Nerzbekämpfer.«
    »Von Kine«, fuhr Einauge sie an, »der dich nie wiedersehen wird, wenn du dich von ihnen zur Unbesonnenheit hinreißen läßt. Komm mit, Wunder. Kämpfe ein andermal.«
    »Kämpfen!« lachte Gru. Ihr Lachen klang so, als ob Knochen zermalmt würden. »Wann hat der einäugige Alte denn zum letztenmal gekämpft?« Sie wartete darauf, daß sich die in der Luft wirbelnden Blätter auf den Boden senkten. Die Saatkrähen in den Eichenwipfeln waren still geworden und lauschten gespannt. Ein Ast erzitterte. Die Bäume beruhigten sich wieder, und Gru lockte mit sanfter Stimme: »Komm her, kleine Tochter des Waldes, dein Blut ist jünger; zeig Gru und Liverskin deinen Wieseltanz.«
    »Höre nicht auf sie.« Einauge setzte sich in Bewegung, um sie aufzuhalten, doch Wunder wich ihm aus, hüpfte näher an die Monster heran und begann mit feurigem Ungestüm herumzuwirbeln. »Wunder!« Entsetzen packte ihn. »Ich flehe dich an …«
    Gru sagte: »Sei ruhig! Laß die Kleine näher herankommen. Sie soll für uns tanzen.«
    Das alte Wiesel sprang los. Es handelte sich um eine Verzweiflungstat, doch Einauge konnte es nicht mehr mit ansehen. Er stürmte fluchend voran, wurde von Liverskin abgeblockt, Gru hatte blitzschnell zugeschlagen, Wunder auf den Rücken geworfen und beugte sich über die Wieselin, um über sie herzufallen.
    Was sich nun abspielte, ging über Einauges Fassungskraft. Er bemerkte die orangefarbene Stichflamme, die aus einem Dickicht hervorzubrechen schien, hörte das laute Krachen, sah, wie die Saatkrähen flüchteten. Für einen Moment erstarrten die Nerze und die Wiesel, während Schrotkugeln umherpfiffen. Dann rasten vier Tiere in verschiedene Richtungen davon. Einauge sah Wilderer nicht. Im Laufen beobachtete er den Busch, doch niemand kam daraus hervor. Es war ein Rätsel – rätselhaft, daß der Schuß danebengegangen war, dachte er.
19. Kapitel
    Der Schilf- und Riedgrasstreifen entlang des Flusses hatte seine Pracht verloren. Die Büschel waren vom Hochwasser verschlammt und zerzaust worden. In der grauen Morgendämmerung bildeten sie an den leicht verschleierten Ufern, die sich an der stillen Wasserfläche entlangzogen, sonderbare Schatten. Einige hochgewachsene Binsen präsentierten sich stolz, andere trieben, gefällt von Schermäusen, flußabwärts. Die abgenagten Halme fanden sich zu winzigen, dunklen Flößen zusammen. Eins davon war in der Nähe der Spitzmaus steckengeblieben, die sich am bewachsenen Ufer versteckt hielt.
    Für Scrat war es eine lange Nacht gewesen. Als der Mond die unermüdliche Strömung beschienen hatte, war der Winzling in das verschlammte Schilf

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