Das Tao der Physik
aller
Eigenschaften der S-Matrix — und damit aller Eigenschaften
der Hadronen - ausreichen.* Falls sich herausstellt, daß dies
der Fall ist, wären die philosophischen Folgen einer solchen
Theorie sehr weitreichend. Alle drei allgemeinen Prinzipien
beziehen sich auf unsere Beobachtungs- und Meßmethoden,
d. h. auf unser wissenschaftliches System. Falls diese Methoden
zur Bestimmung der Hadronenstrukturen ausreichen, würde
dies bedeuten, daß die Grundstrukturen der physikalischen
Welt letztlich durch die Art, auf die wir sie betrachten, bestimmt sind. Jede grundsätzliche Änderung unserer Beobachtungsmethoden würde eine Änderung der allgemeinen Prinzipien zur Folge haben. Das wiederum würde zu einer anderen
Struktur der S-Matrix führen und somit zu einer anderen Struktur der Hadronen.
Diese als »Bootstrap«-Hypothese bekannte Vermutung wird im folgenden
Kapitel im einzelnen besprochen.
Solch eine Theorie der subatomaren Teilchen reflektiert die
Unmöglichkeit, den wissenschaftlichen Beobachter von den
beobachteten Phänomenen zu trennen, was bereits im Zusammenhang mit der Quantentheorie besprochen wurde (siehe
S. 141), in ihrer extremsten Form. Sie läuft darauf hinaus, daß die
von uns in der Natur beobachteten Strukturen und Phänomene
nichts als Gebilde unseres messenden und kategorisierenden
Verstandes sind.
Daß es sich so verhält, ist eine der wichtigsten Lehrsätze der
östlichen Philosophie. Die Östlichen Mystiker bestätigen immer
wieder, daß alle von uns wahrgenommenen Dinge und Ereignisse Schöpfungen unseres Verstandes sind, die aus einem
bestimmten Bewußtseinszustand entstehen und
sich wieder
auflösen, wenn dieser Zustand überschritten wird. Im Hinduismus gilt, daß alle uns umgebenden Formen und Strukturen
vom Verstand im Bann der Maya erschaffen sind, und unsere
Tendenz, diesen Dingen tiefe Bedeutung beizumessen, ist die
menschliche Grundillusion. Buddhisten nennen diese Illusion
»Avidya« und sehen sie als Zustand eines »unreinen« Geistes.
Mit den Worten Ashvaghoshas:
Wenn die Einheit in der Gesamtheit der Dinge nicht erkannt wird,
dann entstehen Unwissenheit und Vielfalt, und damit entwickeln
sich alle Phasen des unreinen Geistes . .. Alle Phänomene in der
Welt sind nur die illusorischen Manifestationen des Verstandes und
haben keine eigene Realität. 3
Dies ist auch das immer wiederkehrende Thema der buddhistischen Yogacara-Schule, die behauptet, daß alle von uns
erblickten Formen nur »Projektionen« oder »Schatten« des
menschlichen Geistes seien:
Dem Geist entspringen zahllose Dinge, gestaltet von Unterscheidungen . . . Die Menschen akzeptieren diese Dinge als äußere
Welt. . . Was als Äußeres erscheint, existiert in Wirklichkeit nicht;
der Geist ist als Vielfalt zu sehen; der Körper, Eigentum und Wohnsitz - all dies, sage ich, ist nichts als der menschliche Geist. 4
In der Teilchenphysik ist die Ableitung der Hadronenstrukturen von den allgemeinen Prinzipien der S-Matrix-Theorie eine
lange und mühsame Aufgabe, und bisher gelangen erst wenige
kleine Schritte zu ihrer Lösung. Nichtsdestoweniger muß die Möglichkeit, daß man die Hadronenstrukturen eines Tages von den
allgemeinen Strukturen ableitet und damit als von unserem wissenschaftlichen Rahmen bedingt
erkennt,
ernstgenommen
werden. Es ist eine erregende Vermutung, daß dies vielleicht
ein allgemeiner Zug der Teilchenphysik ist, der dann auch in
zukünftigen Theorien der elektromagnetischen, schwachen
und Gravitations-Wechselwirkungen auftreten wird. Sollte sich
dies als wahr erweisen, so muß die moderne Physik nolens
volens den östlichen Weisen in der Ansicht zustimmen, daß die
Strukturen der physikalischen Welt
»Maya« sind oder »nur
Gedankenprodukte«.
Die S-Matrix-Theorie kommt den östlichen Vorstellungen
sehr nahe, nicht nur in ihrer letzten Schlußfolgerung, sondern
auch in ihrer generellen Anschauung von der Materie. Sie beschreibt die Welt der subatomaren Teilchen als dynamisches
Netzwerk von Vorgängen und betont mehr den Wechsel und
die Umwandlung als Grundstrukturen oder Einheiten. Im
Orient ist diese Betonung in der buddhistischen Gedankenwelt
besonders stark, wo alle Dinge als dynamisch, unbeständig und
illusorisch angesehen werden. So schreibt S. Radhakrishnan:
Wie kommen wir dazu, in diesem absoluten Fluß an Dinge, statt an
Vorgänge zu denken? Indem wir unsere Augen vorden aufeinanderfolgenden Vorgängen verschließen. Es ist eine künstliche Einstellung, die Abschnitte im Strom
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