Das Tao der Physik
von Bell
näher beschäftigen. Um das Experiment in Gang zu bringen,
nutzt man eine von mehreren möglichen Methoden, zwei Elektronen in einen Zustand zu versetzen, in dem ihr Spin zusammengenommen gleich Null ist. Nehmen wir nun an, die beiden
Teilchen in diesem System werden durch einen Vorgang auseinandergetrieben, der ihren jeweiligen Spin nicht beeinträchtigt. Während sie sich voneinander entfernen, ist ihre kombinierte Kreiselbewegung immer noch gleich Null. Sobald sie
dann durch eine größere Entfernung getrennt sind, wird ihr jeweiliger Spin gemessen. Ein wichtiger Aspekt des Experiments
ist, daß die Entfernung zwischen den beiden Teilchen im
Augenblick der Messung beliebig groß sein kann. Das eine
Teilchen kann sich in New York, das andere in Paris befinden,
oder das eine auf der Erde und das andere auf dem Mond.
Nehmen wir nunmehr an, der Spin des Teilchens 1 werde in
bezug auf eine vertikale Achse gemessen und als »aufwärts« (»up« ) gerichtet befunden. Da der kombinierte Spin der beiden
Teilchen gleich Null ist, geht aus dieser Messung hervor, daß
der Spin von Teilchen 2 »abwärts« (»down«) gerichtet sein
muß. Die Messung des Spin von Teilchen 1 bedeutet also zugleich eine indirekte Messung des Spin von Teilchen 2, ohne
daß dieses Teilchen auf irgendeine Weise beeinflußt wird.
Paradox an diesem EPR-Experiment ist, daß es dem Beobachter freisteht, die Meßachse zu wählen. Die Quantentheorie
sagt uns, daß in einem System von zwei Teilchen, deren gesamter Spin gleich Null ist, der Spin der beiden Teilchen um jede
beliebige Achse stets in entgegengesetzten Richtungen verlaufen muß, obwohl der jeweilige Spin vor der Messung nur als
Tendenz oder Möglichkeit existiert. Der entscheidende Punkt
ist, daß wir unsere Meßachse im letzten Augenblick wählen
können, wenn die beiden Teilchen schon weit voneinander entfernt sind. In dem Augenblick, in dem wir unsere Messung an
Teilchen 1 durchführen, wird Teilchen 2, auch wenn es Tausende von Kilometern entfernt ist, einen ganz bestimmten Spin
um die gewählte Achse annehmen. Woher aber weiß Teilchen
2, welche Achse wir gewählt haben? Es hat keine Zeit, diese Information mittels eines konventionellen Signals zu empfangen.
Das ist der springende Punkt am EPR-Experiment und auch
der Punkt, in dem Einstein mit Bohr nicht übereinstimmte.
Für Einstein war, da sich kein Signal schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen kann, es unmöglich, daß die an
einem Teilchen vorgenommene Messung im selben Augenblick
die Richtung des Spin des anderen, Tausende von Kilometern
entfernten Teilchens bestimmen kann.
Nach Bohr ist das
Zwei-Teilchen-System ein unteilbares Ganzes, selbst wenn die
Teilchen durch
riesige Entfernungen voneinander getrennt
sind. Ein solches System kann man nicht in Begriffen von unabhängigen Teilen analysieren. Obwohl im Raum weit voneinander getrennt, sind sie durch augenblickliche und unmittelbare,
nichtlokale Zusammenhänge miteinander verbunden. Diese
Verbindungen sind keine Signale im Einsteinschen Sinne; sie
transzendieren unsere konventionelle Vorstellung von Informationsübermittlung. Beils Theorem unterstützt Bohrs Position und weist unbestreitbar nach, daß Einsteins Anschauung
einer aus unabhängigen, räumlich getrennten Elementen zusammengesetzten Wirklichkeit mit den Gesetzen der Quantentheorie unvereinbar ist. Mit anderen Worten: Beils Theorem
demonstriert, daß das Universum im umfassendsten Sinne innerlich zusammenhängt, daß alle seine Teile voneinander abhängig und untrennbar sind. Das hat schon vor Hunderten von
Jahren der buddhistische Weise Nagarjuna so formuliert:
Dinge leiten ihre Natur und ihr Sein von gegenseitiger
Abhängigkeit her und sind nichts in sich selbst.
Die gegenwärtige Forschung in der Physik verfolgt das Ziel,
zwei grundlegende Theorien miteinander zu vereinigen, die
Quanten- und die Relativitätstheorie, und daraus eine vollständige Theorie der subatomaren Teilchen zu schaffen. Bis jetzt
ist es noch nicht gelungen, sie zu formulieren, doch gibt es Teiltheorien und Modelle, die gewisse Aspekte der subatomaren
Phänomene sehr gut beschreiben. Im Augenblick kennt die
Teilchenphysik
zwei Arten von
»quantenrelativistischen«
Theorien, die in verschiedenen Bereichen erfolgreich waren:
Erstens eine Gruppe von Quantenfeldtheorien (s. Kapitel 14),
die auf elektromagnetische und schwache Wechselwirkungen
anwendbar sind, zweitens die S-Matrix-Theorie (s. Kapitel 17),
die bei der
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