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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
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darstellt, existiert, bevor er davon weiß. 9 Dies ist die volle Bedeutung der Raum-Zeit in der relativistischen Physik. Raum und Zeit sind vollkommen gleichwertig.
Sie sind in einem vierdimensionalen Kontinuum vereinigt, in
dem sich die Teilchen-Wechselwirkungen in jede Richtung erstrecken können. Wenn wir diese Wechselwirkungen bildlich
darstellen wollen, müssen wir dies in einem »vierdimensionalen
Schnappschuß« tun, der die gesamte Zeitspanne ebenso wie die
gesamte räumliche Region erfaßt. Um das richtige Gefühl für
die relativistische Teilchenwelt zu bekommen, müssen wir »das
Verstreichen der Zeit vergessen«, wie Chuang-tzu sagt, und
daher sind die Raum-Zeit-Diagramme der Feldtheorie eine
brauchbare Analogie zur Raum-Zeit-Erfahrung der östlichen
Mystik. Die Bedeutung der Analogie geht aus den folgenden
Bemerkungen Lama Govindas über buddhistische Meditation
hervor:
    Und wenn wir vom Raumerlebnis der Meditation sprechen, so
haben wir es hier mit einer gänzlich anderen Dimension zu tun, der
die uns bekannte »dritte Dimension« als bloßer Ausgangspunkt
dient und in der das zeitliche Nacheinander zum Nebeneinander,
das räumliche Nebeneinander zum Ineinander, das Ineinander zum
lebendigen Kontinuum wird, jenseits von Sein und Nichtsein in der
Einschmelzung von Raum und Zeit. . . 10
    Obwohl die Physiker ihre mathematische Formelsprache und
ihre Diagramme zur Darstellung von Wechselwirkungen en
bloc in der vierdimensionalen Raum-Zeit benutzen, erklären
sie, daß ein Beobachter in der tatsächlichen Welt die Phänomene nur in einer Reihe von Raum-Zeit-Abschnitten erleben
kann, also in einer zeitlichen Reihenfolge. Die Mystiker dagegen behaupten, daß sie tatsächlich den vollen Umfang der
Raum-Zeit erleben können, wo die Zeit nicht mehr fließt.
Zen-Meister Dogen sagt:
    Die meisten glauben, daß die Zeit vergeht. In Wirklichkeit bleibt sie
stehen, wo sie ist. Die Vorstellung des Verstreichens kann man Zeit
nennen, aber es ist eine falsche Vorstellung, denn da man die Zeit
nur im Verstreichen sieht, begreift man nicht, daß sie stehenbleibt,
wo sie ist. 11
    Viele der östlichen Lehrer betonen, daß Denken in der Zeit
stattfindet, aber daß die Vision sie überschreiten kann. Govinda sagt: »Die Vision hängt mit einem Raum höherer Dimension zusammen und ist daher zeitlos.« 12 Die Raum-Zeit der relativistischen Physik ist ebenso ein zeitloser Raum von höherer
Dimension. Alle Ereignisse darin hängen zusammen, aber der
Zusammenhang ist nicht kausal. Teilchen-Wechselwirkungen
können nur dann in Begriffen von Ursache und Wirkung gedeutet werden, wenn die Raum-Zeit-Diagramme in einer bestimmten Richtung gelesen werden, z. B. von unten nach oben.
Werden sie als vierdimensionale Strukturen ohne bestimmte
Zeit-Richtung aufgefaßt, dann gibt es kein »vorher« und kein
»nachher« und somit keine Ursache und Wirkung.
    Ähnlich behaupten östliche Mystiker, daß sie beim Überschreiten der Zeit auch Ursache und Wirkung überschreiten.
Wie unsere gewöhnlichen Begriffe von Raum und Zeit ist auch
die Vorstellung vom Kausalzusammenhang auf eine bestimmte
Erfahrung mit der Welt begrenzt und wird irrelevant, wenn
diese Erfahrung sich erweitert. Mit den Worten Swami Vivekanandas:
    Zeit, Raum und Kausalzusammenhang sind wie das Glas, durch das
man das Absolute sieht... Im Absoluten gibt es weder Zeit noch
Raum noch Kausalzusammenhang. 13
    Die östlichen spirituellen Traditionen kennen verschiedene
Wege, die über die gewöhnliche Erfahrung der Zeit hinausführen und von der Kette von Ursache und Wirkung befreien - von
den Fesseln des Karma, wie Hindus und Buddhisten sagen.
Östliche Mystik ist daher eine Befreiung von der Zeit, und das
gleiche gilt in gewissem Sinn von der relativistischen Physik.
Das dynamische Universum 13
    In der östlichen Mystik wird die eine Realität als Essenz des
Universums gesehen, die der Vielfalt von Dingen und Ereignissen zugrundeliegt und sie vereinigt. Die Hindus nennen sie
»Brahman«, die Buddhisten »Dharmakaya« (der Körper des
Seins) oder »Tathata« (So-Sein) und die Taoisten »Tao«. Alle
behaupten, daß diese höchste Realität unsere intellektuellen
Begriffe übersteigt und nicht weiter beschrieben werden kann.
Sie ist jedoch von ihren vielfältigen Manifestationen nicht zu
trennen. Es liegt in ihrer Natur, sich in Myriaden von Formen
zu manifestieren, die werden und vergehen, die sich endlos von
der einen zur anderen wandeln. Das kosmische Eine ist somit
durch und durch

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