Das Tao der Physik
dynamisch.
Die von Hindus und Buddhisten gebrauchten Schlüsselbegriffe der indischen Philosophie haben einen dynamischen Bedeutungsgehalt. Das Wort »Brahman« ist von der SanskritWurzel brih (wachsen) abgeleitet und weist somit auf eine dynamische und lebendige Realität hin. Die Upanischaden nennen Brahman
»dies Ungeformte, Unsterbliche, Sich-Bewegende« 1 und ordnen ihm somit Bewegung zu, obwohl es alle
Formen überschreitet.
Der Rig- Veda drückt die dynamische Natur des Universums
mit einem anderen Begriff aus, dem Begriff »Rita«. Dies Wort
kommt von der Wurzel ri (sich bewegen). Seine ursprüngliche
Bedeutung ist »der Lauf aller Dinge«, »die Ordnung der Natur«. Er spielt eine wichtige Rolle in den Legenden des Veda
und hängt mit allen vedischen Gottheiten zusammen. Die Ordnung der Natur wurde von den vedischen Sehern nicht als statisches göttliches Gesetz, sondern als dynamisches Prinzip aufgefaßt, das dem Universum innewohnt. Die Idee gleicht dem chinesischen Begriff des Tao (»Weg«) als die Weise, in der das
Universum funktioniert, d. h. die Ordnung der Natur. Wie die
vedischen Seher sahen die chinesischen Weisen die Welt als
Fluß und Wandlung und gaben somit der Vorstellung einer
kosmischen Ordnung einen im wesentlichen dynamischen Begriffsinhalt. Beide Begriffe, »Rita« und »Tao«, wurden später
von ihrer ursprünglichen kosmischen Ebene auf die menschliche Ebene heruntergeholt und in einem moralischen Sinn interpretiert, »Rita« als das universelle Gesetz, dem alle Götter
und Menschen gehorchen müssen, und »Tao« als der rechte
Weg zu leben.
Der vedische Begriff »Rita« nimmt das »Karma« vorweg,
das sich als Begriff später entwickelte, um die dynamische
Wechselwirkung aller Dinge und Ereignisse auszudrücken. Das
Wort »Karma« bedeutet »Aktion« und bezeichnet den aktiven
oder dynamischen Zusammenhang aller Phänomene. In den
Worten der Bhagavad-Gita: »Alle Handlungen finden in der
Zeit statt durch die Verknüpfung der
Naturkräfte.« 2 Der
Buddha griff den traditionellen Begriff des Karma auf und gab
ihm eine neue Bedeutung, indem er den dynamischen Zusammenhang auf die Sphäre menschlicher Situationen erweiterte.
Somit bedeutet Karma dann die nie endende Kette von Ursache und Wirkung im menschlichen Leben, die der Buddha zerbrach, indem er den Zustand der Erleuchtung erreichte.
Auch der Hinduismus fand viele Wege, die dynamische Natur des Universums in mythischer Sprache auszudrücken. So
sagt Krishna, als Inkarnation des Gottes Vishnu, in der Gita :
»Wenn ich nicht handeln würde, würden diese Welten untergehen«, 3 und Shiva, der kosmische Tänzer, ist vielleicht die vollkommenste Personifizierung des dynamischen Universums.
Durch seinen Tanz erhält Shiva die vielfältigen Phänomene in
der Welt, er vereinigt alle Dinge, indem er sie in seinen Rhythmus einbezieht und am Tanz teilnehmen läßt – ein großartiges
Bild der dynamischen Einheit des Universums.
Der Hinduismus sieht das Universum als einen organischen,
wachsenden und sich rhythmisch bewegenden Kosmos, in dem
alles fließt und ständig sich wandelt, und alle statischen Formen
sind Maya, d. h., sie existieren nur als illusorische Vorstellungen. Diese letzte Idee - die Unbeständigkeit aller Formen - ist
der Ausgangspunkt des Buddhismus. Der Buddha lehrte, daß
»alle zusammengesetzten Dinge unbeständig sind« und daß
Ein taoistisches Diagramm der Wandlung, das den Fluß und die Umbildung in
der physischen Welt darstellt. Nach dem Tao Tsang (Kanon des Taoismus),
11. Jahrhundert.
alles Leiden in der Welt dem Versuch entspringt, an fixierten Formen festzuhalten — an Gegenständen, Menschen oder
Ideen -, anstatt die Welt, so wie sie sich bewegt und verändert,
zu akzeptieren.
Buddhisten nennen diese Welt ständigen Wandels
»Samsara«, wörtlich: »unaufhörlich in Bewegung«, und versichern,
daß es darin nichts gibt, was festzuhalten sich lohnt. So ist für
den Buddhisten der ein Erleuchteter, der dem Fluß des Lebens
keinen Widerstand leistet, sondern sich mit ihm bewegt. Als der
Ch'an-Mönch Yün-men gefragt wurde: »Was ist das Tao?«,
antwortete er schließlich: »Geh weiter.« Entsprechend nennen
die Buddhisten den Buddha auch Tathagata, d. h. »den, der so
kommt und geht«.
Je mehr man die religiösen und philosophischen Texte der Hindus, Buddhisten und Taoisten studiert, um so offensichtlicher
wird, daß die Welt in ihnen allen als Bewegung, Fließen und
Wandlung wahrgenommen wird. Das kosmische
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