Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
teilte sich und öffnete der Staatsbarke einen Pfad. Ihre Segel knatterten und blähten sich in der Brise, die Nebel lichteten sich. Auf einem Podest im Bug standen Seite an Seite die Verlobten. Sie reisten ihrer Hochzeitsfeier in Dudleys Wasserpalast Durham entgegen, einem ehemaligen Bischofssitz in Westminster. Das Paar hatte einander offensichtlich nichts zu sagen. Die winzige fünfzehnjährige Jane Grey stand starr neben dem zwei Jahre älteren Guildford Dudley, dem Sohn des mächtigen Lordprotektors.
Jane Grey trug jungfräuliches Weiß, ihr mausbraunes Haar flatterte im Wind. Ihr Bräutigam trug Selbstbegeisterung und eine lächerlich gebauschte Pluderhose aus Goldbrokat zur Schau. Ein Stoff, der eigentlich königlichen Abkömmlingen vorbehalten war. An seinem grellgelben Barett wippten rote, blaue und purpurne Federn – ein Tumult aus Farben.
»Dieser Grünschnabel hält sich für den König von England«, knurrte Sidney. »Dabei ist er die Marionette seines Vaters, schlimmer noch als Edward und weit lächerlicher. Bei Gott, der Lord ist fintenreich wie kein Zweiter.« Seine Stimme war von Abscheu und Widerwillen getränkt.
Und was bist du anderes als Dudleys Puppe, dachte Lunetta. Hast du geglaubt, du könntest die Rollen vertauschen, indem du eine Tochter aus dem Haus Dudley heiratest? Dem Lordprotektor nahekommen, ihn aushorchen und insgeheim entmachten?
Sidneys Augen suchten und fanden Dudley. Sein Schwiegervater stand beim Mast der Barke und gab sich so demonstrativ bescheiden, dass es die höchste Form der Eitelkeit verriet. Edward war zu krank gewesen, um ihm die Staatsbarke zu verweigern. Und Jane Grey!
Verfluchte Jungfer Cass. Er hatte gehofft, den König von seinen Testamentsplänen abringen zu können, wenn dieses Mädchen erst einmal verschwunden war. Enttarnt als Hure und Verräterin. Aber seit sie fort war, schien dem jungen König alle Widerstandskraft entzogen worden zu sein. Willenlos hatte er sich Dudley ergeben und hielt eiserner als zuvor an der neuen Thronfolge fest.
Als die Bootskarawane Kurs auf Westminster nahm, hob der Herzog von Northumberland die Hand zum Gruß. In der Manier eines Monarchen winkte er dem Volk zu. Er wurde mit dem Applaus, dem Trommeln und dem Gröhlen bezahlter Claqueure belohnt, die er am gegenüberliegenden Ufer postiert hatte. Nur wenige Londoner schlossen sich dem bezahlten Jubel an, selbst Kopfnüsse und Rippenstöße von Dudleys Söldnern richteten wenig aus gegen ihr beredtes Schweigen.
Sidney registrierte es mit Befriedigung. »Der Prunk begeistert den Pöbel, aber nicht die Ehe einer königlichen Verwandten mit einem Emporkömmling«, sinnierte Sidney. »Nun, noch ist Dudley nicht da, wo er hin will. Wir müssen es verhindern.«
»Wir?« Lunettas Frage war ein deutliches Nein.
Sidney drehte sich mit einem Seufzer zu ihr um.
»Es besteht immer noch Hoffnung, dass Euer Sohn lebt. Meine Spitzel unter den Gärtnern haben den ganzen Park durchkämmt. Sie fanden keine Spur, die verraten könnte, was mit Samuel in jener Nacht geschehen ist, nachdem ... Er muss einen Fluchtweg gefunden haben.«
»Aber er sollte Euch Bericht erstatten! Er wollte uns schreiben.«
Sidneys Miene gefror. »Vielleicht fühlt er sich einem anderen Herrn inzwischen mehr verpflichtet als der Bruderschaft ... etwa den Jesuiten.«
»Mein Sohn ist kein Verräter!«, zischte Lunetta. »Wenn er sein Wort gibt, hält er es. Zudem will er wie Ihr, dass Maria Tudor die neue Königin von England wird.«
»Hoffen wir es«, sagte Sidney knapp. »Und nun kommt, wir müssen zu Edward, bevor seine Bewacher sich wieder an ihre Pflicht erinnern, statt Dudleys Mummenschanz zu bejubeln.«
Lunetta blitzte den Kammerherrn zornig an. »Wie könnt Ihr erwarten, dass ich Euch weiterhin helfe? Seit zwölf Tagen versprecht Ihr mir Auskunft über Samuel und vertröstet mich jedes Mal, sobald ich Euch zu Diensten war ...«
»Es ist ein Dienst an unserem König, und ich entlohne Euch fürstlich.«
»Das Geld reicht gerade aus, um die Gefängniswächter meines Mannes bei Laune zu halten. Unser Vermögen ist beschlagnahmt. Lambert ist immer noch in Haft, und mich bringt ihr mit Euren Forderungen in Lebensgefahr. Man könnte mich als Kräuterhexe brandmarken, die den König mit Gift und Zauberei tötet.«
Hastig unterbrach Sidney sie: »Ich kann auch Eurem Mann nicht offen beispringen, das würde unsere ganze Arbeit gefährden.«
Lunetta hob zornig den Kopf. »Und Euch, nicht wahr?
»Ja! Und das
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