Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
bevor deine Torheiten mich das Leben kosten.«
Samuel drehte sich um, zerteilte mit den Händen eine Hecke.
»Bitte ...«, rief Cass leise. »Es ist ... Das Haus van Berck ist katholisch, oder?«
Kopfschüttelnd drehte der junge Mann sich um. »Komm mir jetzt bloß nicht mit deinem Glauben! Ausgerechnet du! Hast du etwa nicht mit einem französischen Katholiken das Bett geteilt?«
»Das ...«
»Geht mich nichts an, ich weiß! Aber sei beruhigt, im Haus van Berck stellt niemand die Glaubensfrage, auch wenn es besser wäre, man täte es.«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil ich der Sohn des Hauses bin. Samuel van Berck.«
Cass krallte sich ins Mauerwerk. »Aber du bist strenger Katholik!«
»Und kein Verräter.«
»Ich bin es so wenig wie du.«
Der junge Mann schnaubte.
»Ich, ich habe de Selve geliebt, und damit du es weißt, er hatte mir die Heirat versprochen. Glaubst du, ich hätte sonst ...«
»Spar dir deine Geständnisse.« Samuel duckte sich, um im Gezweig einer Hecke zu verschwinden.
»Versteh doch, ich erwarte ein Kind!«, rief Cass. »Ich brauche Hilfe.«
Der Spanier schnellte zurück. Zweige schlugen ihm in Gesicht, als er sich zu ihr umdrehte. Mit zusammengezogenen Brauen und dem Ausdruck höchster Überraschung starrte er sie an. »Zum Teufel! Stimmt das?«
Cass biss sich beschämt auf die Lippen. Wie albern sie war! Weshalb wollte sie sich diesem unverschämten Kerl so dringend erklären? Weil es schwer ist, mit all dem allein zu sein, antwortete Cass sich selbst.
»Ist es das Kind von ...«
Weiter kam van Berck nicht, ein sirrendes Geräusch zerschnitt die Luft. Einen winzigen Augenblick lang sah Cass den Pfeil, der auf sie zujagte. Kaum eine Handbreit sauste er an ihrem Kopf vorbei. Sie duckte sich.
Das nächste Geschoss traf Samuel van Berk wie ein Fausthieb, als er seinen Dolch zog. Roher Schmerz breitete sich vom Rücken her bis in seinen Brustkorb aus und riss ihn von den Beinen. Cass hörte das Pfeifen, als seinen Lungen Luft entwich.
Noch ein Pfeil zischte durch die Luft. Sie schrie auf. Mit einem Satz war sie auf den Füßen. Kurz schwankte sie auf der Mauerbrüstung. Sie drehte den Kopf suchend zum Fluß und sah, dass sich ein einsamer Kahn vom unbefestigten Ufer löste und in den Strom drehte. Der Bootsmann! Er stand aufrecht in der Mitte und stakte hastig durch Schilf und morastigen Grund in Richtung Strömung. Ihr Schreien musste ihn vertrieben haben. Schon ergriff die Flut den Kahn und schwemmte ihn fort. Ein vierter Pfeil sauste über das Wasser. Der Mann in der Barke ging in Deckung und ruderte kauernd und mit kurzen Schlägen auf London zu.
Cass wollte ihn um Hilfe anrufen, besann sich aber eines Besseren und lief los, ohne sich noch einmal zu der Stelle umzuschauen, an der der Spanier liegen musste. Zweige peitschten ihr ins Gesicht, das Mauerwerk scheuerte die Sohlen ihrer Schuhe auf, zerschnitt ihre Fußsohlen. Sie schürzte Kleid und Hemd bis weit über die Knie und lief schneller.
Sie achtete nicht mehr auf das Ufer zu ihrer Rechten, sah nicht das glitzernde Band des Flusses oder das lachende Grün des Palastgartens. Nur weg hier, weg von den heimtückischen Pfeilen, weg! Die Mauer verbreiterte sich zu einem Wehrgang. Sie hielt auf einen Turm zu, der sich schwarz gegen das Morgenrot abzeichnete. Ein Turm mit festen Wänden. Wänden, die für den Fall eines Angriffs von der Themse aus Kanonenschüsse abhalten konnten. Und gewiss Pfeile. Es waren keine Soldaten postiert, trotzdem hörte sie, wie sich jemand von hinten näherte. Cass rannte schneller. Atemlos erreichte sie die Pforte, die in den Turm führte, stieß sie auf, tauchte unter dem Mauersturz ab, fand eine schmale Wendeltreppe und hetzte sie – zwei Stufen auf einmal nehmend – hinauf.
Vom obersten Treppenabsatz sprang sie auf eine unbedachte Plattform, die den Turm krönte. Mächtige Zinnen umkränzten die Schutzwehr. Wind fing sich in ihren Haaren und spielte mit losen Strähnen.
Cass lief zur flusswärtigen Seite, zwängte sich zwischen zwei Zinnen und sah die Themse unter sich dahinfließen. Saugend schwappte das Wasser mehr als dreißig Fuß unter ihr gegen das Fundament. Der Anblick ließ sie zurückprallen. Ihr schwindelte, ihr Magen krampfte sich vor Furcht zusammen.
Aber bei Gott, es gab keinen anderen Ausweg, und sie hatte schwimmen gelernt. Im Karpfenteich. Von dem küssenden Stallburschen. Sie konnte dem Tod entrinnen. Immer noch. Mit einem gewagten Sprung. Cass schloss die Augen.
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