Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
wäre das endgültige Ende der Bruderschaft! Dudley weiß mehr, als wir geahnt haben. Er lässt jeden verhaften, der als Freund der Papisten bekannt ist. Er besitzt eine Liste von allen Häusern, in denen noch Messen gelesen werden, und mit Namen von Fluchthelfern, wie Ihr es seid. Immerhin zahle ich dafür, dass Lambert in einer geheizten privaten Kammer sitzt und Ihr ihn versorgen dürft.«
»Was für ein Trost! Die Kammer liegt in der Immunität von Newgate und zählt zum Gefängnis. Jeden Tag kann man meinen Mann in eins der stinkenden Turmverliese verlegen! Wer garantiert mir, dass Ihr ihn und die Bruderschaft nicht einfach missbraucht habt, um katholische Freunde zu retten? Wenn Ihr Maria Tudor auf den Thron gebracht habt und offen zu Euren papistischen Neigungen stehen könnt, werdet Ihr uns nicht mehr brauchen. Sollte hingegen Dudley siegen, dann sind wir mehr als nur lästig für Euch.«
Sidneys Rücken straffte sich. »Was haltet Ihr von mir? Ich habe den Treueeid der Opal-Brüder geleistet, weil ich wie Euer Mann für Toleranz in Glaubensdingen kämpfe. Das werde ich auch unter Maria Tudor tun. Lambert wird nichts geschehen, das verspreche ich Euch.«
Lunettas Augen verengten sich zu Schlitzen. »So wie Ihr meinem Sohn versprochen habt, dass ihm keine Gefahr droht?«
»Er muss meine und Scheyfves Anweisungen missachtet haben.«
»Was geschah mit der jungen Protestantin, der er zur Flucht verhelfen sollte?«
»Sie ist ertrunken. Ein Wachmann am Themsekai sah, wie sie ins Wasser fiel. Es gab einen Kampf. Jemand stieß sie von einem Mauerturm herab.«
»Wer?«
»Euer Sohn war als Letzter bei ihr. Ein Wachmann erkannte einen jungen Mann, schwarzhaarig und in spanischer Tracht, der über die Turmzinnen herabschaute«, versetzte Sidney schneidend. Lunetta erbleichte. »Und die Gärtner fanden bei ihrer Suche ... eine zerfetzte Schnürbrust und ein kölnisches Messer mit dem Monogramm Eures Handelshauses.«
Lunettas Finger krallten sich in ihren Beutel. »Nie würde Samuel eine unschuldige Frau ... nie ...!« Sie brach ab. Allein es auszusprechen wäre ein unverzeihlicher Verrat.
»Das Messer steckte im Rücken eines Franzosen. Und diese Cass war alles andere als unschuldig. Sie war Dudleys Mündel. Sie selbst hat den König auf das Niederträchtigste betrogen«, sagte Sidney mühsam beherrscht. »Beim Blute Christi, wenn jemand den Tod verdient hat, dann sie! Dieser Überzeugung war auch Euer Sohn.«
»Ihr klingt selbst wie ein Mörder. Seid Ihr das?«
»Warum befragt Ihr nicht die Karten?«, bemerkte Sidney erbost. »Man munkelt, dass Ihr einst das zweite Gesicht besessen habt und deshalb in Spanien auf der Todesliste steht. Wie konntet Ihr der mächtigsten Inquisition der Welt entkommen? Durch Hellseherei? Nun denn, beweist Eure Kunst! Aber seid vorsichtig, denn darauf steht auch im protestantischen England der Tod.«
Voller Zorn senkte Lunetta die Lider.
Bei Gott, wie oft hatte sie sich in den vergangenen Tagen über ihr altes Tarotspiel gebeugt, in der Hoffnung, den Karten Botschaften und Fingerzeige zu entlocken. Aber die Bilder sprachen nicht mehr zu ihr. Es entsetzte sie, dass sie immer und immer wieder Karten wie den Gehängten oder den gesprengten Turm zog. Zeichen von Ohnmacht und Vernichtung. Sie wusste, dass dies nicht umsonst geschah. Wie bei allen Tarotkarten mussten diese Bilder auch auf eine Lösung hinweisen, Licht in sich tragen, aber sie erkannte es nicht. Sie hatte die Gabe für immer verloren.
Sidney musterte sie forschend, sah ihren Schmerz. Verlegen räusperte er sich. »Verzeiht, ich wollte Euch nicht drohen. Ich wünschte tatsächlich, wir könnten einen Blick in die Zukunft werfen.« Wieder versteinerte sich seine Miene. »Der halbe Hof bemüht sich derzeit darum. Angeblich gibt es in Newgate einen Mann, der in dieser Kunst bewandert ist.«
Lunetta riss den Kopf hoch. »Wen?«
»Er wird Enoch der Prophet genannt. Er sitzt im öffentlichen Tollhaus von Newgate und begeistert London mit wirren Visionen. Der Kerl saß jahrelang im Tower. Irgendwann hat er so getan, als sei er irre, um nach Newgate zu kommen. Was zeigt, wie schlau er ist ...«
Lunetta schrak zusammen. »Er saß im Tower?«
Sidney runzelte die Stirn. »Kennt Ihr ihn?«
Lunetta schüttelte den Kopf. »Nein, das ist unmöglich. Der Mann, den ich kannte, ist tot. Er muss tot sein! Er hieß Aleander von Löwenstein. Ein spanischer Inquisitor, der die Verbrennung meiner Mutter anordnete. Er kam in London zu
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