Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Fall, weil er als Spitzel Verrat an König Heinrich beging.«
»Löwenstein? Nein, der Mann heißt Enoch, und er ist sehr lebendig, sein Geschäft blüht. Dudleys Spitzel schleichen beständig zu ihm, genau wie Scheyfves Leute. Abergläubisch wie Waschweiber!«
»Was sagt dieser Mann voraus?«, fragte Lunetta vorsichtig.
»Gefährlichen Unsinn, mehr will ich nicht wissen«, erwiderte Sidney abweisend. »Er fiel mir nur ein, weil er Karten benutzt. War das nicht auch Eure Spezialität?«
Lunetta öffnete verblüfft den Mund. »Woher wisst Ihr das?«
Sidney hob die Brauen. »Es ist überaus wichtig, seine Helfer so gründlich zu prüfen wie seine Gegner. Sogar noch gründlicher. Habt Ihr je von einem Tarot der Engel gehört?«
»Ein Tarot der Engel? Nein, nie.« Sie verzog nachdenklich die Stirn. »Aber es gibt Karten, auf denen Engel zu sehen sind.«
»Dann müssen diese Karten Blend- und Teufelswerk sein!«
»Wer sie richtig deutet, findet darin göttliche Fülle und Weisheit«, erwiderte Lunetta fest.
»Ich halte nichts von Mystikern und einsamer Gottesschau. Die Religion gehört in die Hände von geweihten Priestern.«
»Wenn Ihr das glaubt, warum wolltet Ihr dann einer Protestantin und Verräterin helfen?«
»Weil ich auch als Katholik dem Gesetz der Opal-Bruderschaft genauso treu bin wie ihr: Toleranz. Zudem war es Edwards Wunsch. Als Christ ist mir der Papst heilig, als Engländer der gesalbte König.«
»Weil Ihr ihm alles verdankt?«
Sidney fasste sie mit eisernem Griff beim Arm. »Genau wie Ihr! Kommt. Seiner Majestät geht es sehr schlecht. Er muss leben und sein Testament ändern, damit Dudley niemals durch Jane Grey regieren kann.«
Lunetta wusste, dass es zwecklos war, weiter nach Samuel zu fragen. Sidney interessierte sich nicht für das Schicksal ihres Sohnes, seine Pläne für England gingen vor.
Sie schlang den mitgebrachten Leinenbeutel fest um ihr Handgelenk und folgte dem Kammerherrn in einen der Dienstbotenkorridore, die den Königstrakt von Greenwich wie einen Ameisenbau durchzogen.
Der Gang war düster, nur Mauerschlitze ließen Tageslicht herein. Nachdem sie mehrmals kreuz und quer gegangen waren, schlugen ihnen unvermittelt Uringeruch und der Gestank von Exkrementen entgegen. Auf ihren Eilgängen von Gemach zu Gemach hatten sich viele Lakaien, Küchenpagen und Boten angewöhnt, sich hier zu erleichtern. Im Korridor war man unbeobachtet, anders als im großen Abtritt des Latrinenhauses, wo es auf zwei Stockwerken nur jeweils einen langen Donnerbalken gab und den Senkgruben infernalischer Dunst entstieg.
Der Korridor führte über einige Stufen nach oben und endete bei einer Treppenschnecke, die sie gebückt hochsteigen mussten. Sie erreichten wieder eine Tür. Henry zog einen Schlüssel hervor, den er an einer feinen Goldkette um den Hals trug.
Lunetta registrierte den schillernden Stein am Kettchen, das Erkennungszeichen der Bruderschaft. Samuel trug ihn als Ohrring, bei anderen steckte er in der Gürtelschnalle. Sie selbst hatte den seltenen Opal vor vielen Jahren vorgeschlagen, weil er die Kraft besaß, alle Farben auf sich zu vereinen. Arabern galt er darum als Stein der Hoffnung, gelehrte Griechen nannten ihn Freudentränen des Zeus, für Mystiker besaß er die Kraft der Erleuchtung, in der Bibel wurde er als Schmuck auf den Toren des himmlischen Jerusalem erwähnt.
Für Lunetta war es der Stein der sich erfüllenden Träume – Lambert und sie trugen ihn im Ehering. Was, wenn Samuel für ihre Träume sein Leben gelassen hatte? Gegen seinen Willen und als Opfer der ewig gleichen Machtspiele bei Hof? Samuel war nicht verschlagen, er hasste die Winkelzüge höfischer Intriganten. Wo zum Himmel steckte er nur?
Der Kammerherr stieß die Tür auf. Sie schlüpften in einen dunkel getäfelten Raum. Die Schlagläden vor den Fenstern waren geschlossen, in eisernen Schalen verglommen Guajakholz aus der Neuen Welt und Harze. Dichter als Themsenebel lag der Rauch in der Kammer, sodass sie kaum etwas erkennen konnten. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Prunkbett, dessen Vorhänge zugezogen waren.
Lunetta hustete, der Rauch legte sich beißend auf ihre Lungen. »Bei Gott, habe ich Euch nicht gesagt, Ihr sollt Licht und Luft in den Raum lassen? Der arme Mensch erstickt ja!«
Sir Henry zuckte mit den Achseln. »Die Ärzte seiner Majestät wollen die schädlichen Miasmen vertreiben. Sie sagen, dass es eine feuchte Krankheit ist, die den König quält, feucht wie die Gifte und
Weitere Kostenlose Bücher