Das Tattoo
Mitgefühl völlig überrumpelt. Mühsam gelang es ihr zu nicken. Dann deutete sie auf den Bild schirm.
„Der Film ist so schrecklich traurig”, flüsterte sie.
Als Clays Blick auf die leere Videohülle auf dem Tisch fiel, musste er sich ein Lächeln verkneifen. Seine Mutter hatte sich den Film kürzlich ausgeliehen und noch nicht zurückgebracht.
„Aber er hat ein Happyend”, versuchte er sie zu trösten.
„Das hoffe ich …”, sagte sie leise.
Als er ihr in die dunklen, verweinten Augen schaute, verspür te er den Wunsch, sie zu küssen, doch bevor er dem Impuls nach geben konnte, stand er auf. So wie er sie seit ihrer Rückkehr be handelte, würde sie es bestimmt nicht verstehen und ihm wahr scheinlich eine Ohrfeige geben.
Sie wischte sich schniefend das Gesicht mit einem Zipfel der Decke ab.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich dir ein bisschen Gesell schaft leiste?” fragte er.
Frankie war so überrascht, dass ihr fast das Herz stehen blieb. War das womöglich ein Friedensangebot? „Ja, klar, wenn du magst.”
Er ging um die Couch herum, doch statt sich neben sie zu set zen, hob er sie mitsamt der Decke hoch und setzte sie sich auf den Schoß.
Frankie wartete mit angehaltenem Atem.
„Bequem so?” fragte er leise, während er seine Arme fest um sie legte und die Decke wieder über ihre Beine breitete.
Frankies Herz hämmerte. „Ja”, flüsterte sie.
„Und ist dir auch warm genug?”
Sie brachte kein Wort heraus. Sie nickte.
„Wo ist die Fernbedienung?”
Sie reichte ihm das Gerät und beobachtete, wie sich sein Dau men auf den Lautstärkeregler legte.
„Ist es so zu laut?” fragte er.
Bei dem Lärm, den mein Herz macht? „Nein, ist gut so.”
„Okay.”
Einträchtig konzentrierten sich nun beide auf den Film, und erst bei der Schlussszene atmete Frankie erleichtert auf. Als sie den Kopf hob und Clay anschaute, leuchteten ihre Augen.
„Ich liebe Geschichten mit Happyend, du auch?”
Er nickte lächelnd, obwohl auf seinem Magen ein fast un erträglicher Druck lastete. Trotz allem, was sie durchgemacht hatte, war sie immer noch die sanfte nachsichtige Frau, in die er sich verliebt und die er geheiratet hatte. Warum war ihm das nicht schon viel früher aufgefallen? Warum hatte er, nach dem sie praktisch von den Toten auferstanden war, nur das gesehen, was ihn von ihr trennte? Wo er doch Gott auf Knien hätte danken müssen, dass sie wieder zu ihm zurückgekom men war.
„Frankie, es tut mir so Leid.”
Sie erstarrte. Jetzt war der Moment, um den sie gebetet hatte, endlich gekommen. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen, aus Angst, sie könnte aufwachen und feststellen, dass sie geträumt hatte. Ihre Zähne gruben sich in ihre Unterlippe, als sie vorsichtig die Hand nach ihm ausstreckte und sie an sein Gesicht legte. Er schloss die Augen, schmiegte seine Wange in ihre Handfläche und zog ihre Hand an seine Lippen.
„Ich nehme keine Drogen”, sagte sie mit bebender Stimme.
Er beugte sich vor, bis seine Stirn die ihre berührte. „Ich weiß, Baby, ich weiß.”
„Ich weiß nicht, woher die Einstiche in meinen Armen stam men, aber ich …”
„Sei jetzt still”, unterbrach Clay sie und zog sie in seine Arme.
Frankie erschauerte. Von allen Gefühlen, die sie im Moment empfand, war es das Überwältigendste, sich in Sicherheit zu wis sen.
„Ich lüge dich nicht an. Ich möchte nichts lieber, als mich zu erinnern.”
„Ich weiß”, sagte Clay. „Und das wirst du auch … wenn es soweit ist.”
Sie seufzte. „Ich weiß nicht, wo ich war, aber ich bin zu dir zurückgekommen.”
Clay bekam wieder ein schlechtes Gewissen. Warum gab er sich nicht damit zufrieden?
„Ja, Francesca, und dafür werde ich immer dankbar sein.”
Es folgte ein längeres Schweigen, bis Frankie bemerkte: „Es muss schrecklich für dich gewesen sein.”
Er schlang seinen Arm fester um sie, während er sich an die zurückliegenden endlosen Tage und Nächte erinnerte, in denen er Höllenqualen ausgestanden hatte. Er nickte.
„Es tut mir Leid, dass uns das passiert ist.” Sie stieß einen tie fen Seufzer aus. „Wo wir doch so glücklich waren.”
Clay schaute auf. „Wir werden wieder glücklich werden. Wir müssen nur erst über den Schock hinwegkommen, und das dauert seine Zeit.” Er versuchte zu lächeln. „Nach einem Jahr hatte ich alle Hoffnung verloren. Ich war mir ziemlich sicher, dass du tot bist. Einen anderen Grund für dein Fernbleiben konnte ich mir einfach nicht
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