Das Tattoo
suchte.
„Und du heißt Francesca, stimmt’s?”
Sie umklammerte ihren Teddy ein bisschen fester und nickte.
„Mein Daddy sagt immer Frankie zu mir”, verkündete sie schließlich. Und dann zitterten ihre Lippen, und die Tränen, die sich bereits angekündigt hatten, begannen zu fließen. „Meine Mommy und mein Daddy haben mich allein gelassen. Sie sind ohne mich in den Himmel gefahren.”
Pharaoh spürte, dass er einen roten Kopf bekam. Oh, ver dammt noch mal. Was sollte er jetzt bloß machen? Er schaute auf,
überzeugt davon, dass man ihm die Schuld an ihren Tränen geben würde, aber die Erwachsenen waren in ihre Unterhaltung vertieft und beachteten sie nicht. Zu seiner Bestürzung schwoll der Tränenstrom noch weiter an. Pharaoh beugte sich, die Ellbogen auf die Oberschenkel aufgestützt, vor.
„He, Kleine, jetzt wein doch nicht. Ich hab auch keinen Dad dy und keine Mommy mehr, deshalb bin ich hier. Deshalb sind wir alle hier.”
Sie dachte lange über seine Worte nach. „Und bist du auch traurig?” fragte sie schließlich.
Pharaoh richtete sich abrupt auf. „Nein”, brummte er un wirsch und wurde wieder rot, weil ihm bewusst wurde, dass es nicht richtig ist, der Kleinen so brüsk zu begegnen.
In der Befürchtung, man könnte ihm Vorwürfe machen, schnappte er sich einen Zipfel ihrer Decke und begann, ihr damit die Tränen abzuwischen.
„Na komm”, sagte er und hielt ihr das Stück Decke vors Gesicht, „schnaub dir die Nase.”
Pharaoh schrak aus dem Schlaf hoch und schaute auf die Uhr. Kurz nach vier Uhr morgens. Er musste dringend einmal raus. Er erwog, nach der Krankenschwester zu läuten, verwarf den Ge danken jedoch gleich wieder. Er war hier schließlich zu Hause. Bestimmt schaffte er es auch allein.
Er setzte sich stöhnend auf. Ihm tat alles weh, am meisten aber schmerzte sein Herz. In ihm war eine Leere, die auch im Lauf der Zeit nicht verschwinden würde, außer …
Francesca wurde vermisst. Aber er weigerte sich, den Gedan ken, dass sie tot sein könnte, zuzulassen. Immerhin hatte man ihre Leiche unter dem Schutt seines Hauses nicht gefunden, und die Krankenhäuser waren überfüllt mit Verletzten, von denen ein
Teil immer noch nicht identifiziert war. Es gab also durchaus noch Hoffnung.
Er biss die Zähne zusammen, während er sich mühsam hoch hievte und langsam und vorsichtig ins Bad tappte. Kurz darauf kam er wieder raus, warf einen Blick auf das zerwühlte Bett und trat ans Fenster.
Das Flutlicht leuchtete hell in der Dunkelheit. Im seinem Lichtkegel sah er zwischen den Büschen eine Bewegung. Viel leicht wieder ein Maulwurf. Er nahm sich vor, morgen dem Gärt ner Bescheid zu sagen.
Er presste die Handflächen gegen die kalte Fensterscheibe.
„Sei am Leben, Francesca … und mach dich bereit. Ich kom me bald, um dich zu holen.”
6. KAPITEL
Es war kurz nach zwei Uhr morgens, als Clay aus dem Schlaf hochschrak. Im Haus war alles dunkel, im Schlafzimmer war es still, aber sein Gefühl sagte ihm, dass irgendetwas nicht stimmte.
Frankie!
Er sprang aus dem Bett und in seine Jeans, die er sich noch hochzog, während er schon über den Flur ins Gästezimmer rann te. Die Tür stand offen, das Bett war leer. Er wurde von Panik überschwemmt, als sich das ganze Entsetzen aus der Zeit von vor zwei Jahren erneut in ihm Bahn brach. Er wirbelte herum und raste den Flur wieder hinauf, in den vorderen Teil des Hauses. Gleich darauf sah er ein Flackern an der Wohnzimmerwand und stutzte. Hatte sie den Fernseher angelassen?
Eine Sekunde später sah er sie. Sie saß, eingewickelt in ihre Lieblingsdecke, die Fernbedienung lose in der Hand, auf der Couch und schaute gebannt mit tränenüberströmtem Gesicht auf das, was sich vor ihr auf dem Fernseher abspielte.
Bemüht, sich zu beruhigen, atmete er tief durch. Gott sei Dank, Gott sei Dank, war das Einzige, was er denken konnte. Er trat leise hinter sie, beugte sich zu ihr hinunter und schmiegte sei ne Wange an ihren Hinterkopf.
„Warum bist du denn um diese Zeit noch auf, Francesca?”
Sie schrak zusammen, fuhr herum und entspannte sich erst, als sie begriff, dass es Clay war.
„Gott, hast du mich erschreckt”, sagte sie und fügte hinzu: „Ich konnte nicht schlafen.”
Er legte seine Hände um ihr Gesicht, trocknete mit dem Daumen ihre Tränen, und gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange.
„Es ist alles in Ordnung.”
Da er sie jetzt schon tagelang kalt und distanziert behandelte,
war sie von seinem unerwarteten
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