Das Tattoo
hatte, war sie absolut nicht überzeugt davon, dass er sie immer noch liebte. Zumindest nicht so wie früher. Sie fühlte sich ausgelaugt. Erschöpft zog sie sich die Decke bis zum Kinn hoch und schloss die Augen.
Clay war in der Küche. Das gedämpfte Klappern der Töpfe, das zu ihr herüberdrang, hatte etwas Tröstliches. Früher hätte sie darüber gelächelt, wenn Clay versucht hätte zu kochen. Sie holte tief und zitternd Atem. Aber das machte er ja jetzt schließlich schon seit zwei Jahren, oder etwa nicht? Genau genommen hatte er sich wahrscheinlich für einen Witwer gehalten.
Unter ihrem Augenlid quoll eine letzte wütende Träne her vor, rollte über ihre Wange und versickerte im Kissen. Aber sie war nicht tot. Sie lebte, und sie war wieder da, und er würde sich mit ihren Erinnerungslücken abfinden müssen, bis sie einen Weg gefunden hatte, sie zu füllen.
Las Vegas, Nevada
Das schlanke Privatflugzeug kam ein paar Meter vor der langen weißen Limousine zum Stehen, die am Ende des Rollfelds warte te. Wenig später wurde die Tür geöffnet. Duke Needham er schien oben an der Treppe, winkte dem Fahrer der wartenden Limousine zu und verschwand wieder im Innern des Flugzeugs. Es dauerte nicht lange, bis der Fahrer mit einem zusammenklappba ren Rollstuhl die Gangway hinaufstieg.
Die Luft war von einem schwachen Kerosingeruch erfüllt, während ein kalter Wind dunkle Wolkenfetzen über einen grauen Himmel trieb. Minuten verstrichen, dann traten Duke und der Fahrer aus dem Innern des Flugzeugs. Zwischen ihnen im Rollstuhl saß Pharaoh Carn, gut eingepackt gegen die Kälte. Sie hoben ihn mitsamt dem Gefährt hoch, trugen ihn die Gangway hinunter und setzten ihn unten am Boden fast lautlos ab.
Pharaoh, der die Absicht hatte, sich in seiner Villa in Las Ve gas zu erholen, hatte dafür gesorgt, dass seine Ankunft unbe merkt blieb. Er trug einen Hut und hatte sich die Decken bis zum Kinn hochgezogen; außerdem verdeckte eine riesige Sonnenbrille einen Großteil seines Gesichts. Dass er noch längst nicht gesund war, erkannte man an seiner ungewohnten Blässe.
Seine Autorität aber hatte trotz seiner Schwäche keinen Scha den genommen. Er brauchte nur den Kopf zu neigen, eine Hand bewegung zu machen oder ganz leicht die Stimme zu erheben, und schon waren ihm die beiden Männer zu Diensten.
Minuten später war die Limousine verschwunden, und außer einem weißen Blatt Papier, das ein Windstoß aus dem Flugzeug getragen hatte, verriet nichts, dass eben noch jemand hier gewe sen war.
Auf den vom Regen reingewaschenen Treppenstufen von Phara ohs Villa in Las Vegas spiegelte sich das Mondlicht, während Pha raoh im Haus schlief. Aber seine Ruhe wurde ständig von seltsa men Träumen gestört. Zweimal schrak er aus dem Schlaf hoch,
weil er sich einbildete, der Boden würde wieder beben. Immer wenn er die Augen schloss, spürte er Francescas Hände auf seiner Brust, die ihn wegstießen. Und er spürte, wie er kopfüber die Treppe hinunterstürzte. Er stöhnte. Das, was am meisten schmerzte, war der Verrat.
„Mr. Carn, haben Sie Schmerzen?”
Er schrak zusammen. Diese verdammte Krankenschwester. Immerhin war er so weit genesen, dass man ihn aus dem Krankenhaus entlassen hatte, dann konnte er wohl auch allein schla fen. Nie in seinem Leben hatte er mit einer Frau ein Zimmer ge teilt, nicht einmal mit Francesca, und er hatte ganz bestimmt nicht die Absicht, ausgerechnet jetzt damit anzufangen.
„Natürlich habe ich Schmerzen.”
„Einen Augenblick, Sir. Ich hole Ihnen Ihre Medizin.”
„Ich will keine Medizin. Ich will nur ein bisschen Ruhe und Frieden, sonst nichts. Verschwinden Sie. Wenn ich irgendwelche Pillen brauche, kann ich sie mir selbst holen.”
„Aber, Sir, Mr. Needham sagte …”
Pharaoh drehte sich auf den Bauch, und selbst in dieser Posi tion hatte er noch immer etwas Gebieterisches.
„Das war ein Befehl”, sagte er sanft. „Verlassen Sie umgehend mein Zimmer.”
Die Krankenschwester huschte eilig davon.
Sobald er hörte, wie sich die Tür hinter ihr schloss, begann er sich zu entspannen. Die Luft im Zimmer war plötzlich nicht mehr so dick, die Wände wirkten weniger erdrückend. Vorsichtig legte er sich auf die Seite und zuckte leicht zusammen, als er sich versehentlich eine geprellte Rippe stieß.
„Oh, verdammt”, stöhnte er, als sich ein Muskel verkrampfte. Aber die Krankenschwester war weg, und jetzt war niemand mehr da, um ihn zu massieren. Er biss die Zähne zusammen
Weitere Kostenlose Bücher