Das Teehaus im Grünen
gemacht.«
»Ach du lieber Gott, das weiß ich längst. Ich tue ja auch, was ich kann. Aber es hat keinen Sinn, den lieben langen Tag darüber nachzudenken.«
»Es wäre wohl besser, wenn Sie überhaupt mehr nachdächten. Sie wollten vielleicht das Geld nur ausleihen; in Wahrheit haben Sie’s gestohlen, und ein Diebstahl ist eine schlimme Sache.« Im stillen dachte sie: Es ist auch schlimm für mich. Lucy wird bitterböse sein und Seymour ebenfalls. Und das gerade jetzt, wo alles so gut zu gehen schien!
Voller Abscheu betrachtete sie den hübschen jungen Mann an ihrer Seite. Aus charmanten Männern machte sie sich eigentlich nichts. Sie zog die soliden, ernsthaften vor, selbst wenn sie gelegentlich einmal etwas rauh waren.
Dan war gekränkt. »Ich weiß, daß ich eine Dummheit gemacht habe, aber jetzt gebe ich mir ja alle Mühe, die Angelegenheit in Ordnung zu bringen. In einem Büro kann ich keine Anstellung finden, weil mir Seymour kein Zeugnis ausstellen will; aber ich schufte wie wild bei der widerlichen Gartenarbeit. Meine Hände sind voller Blasen, und meine Nase schält sich wie eine Kartoffel. Wenn ich genug Geld für die Überfahrt hätte, würde ich hier abhauen und zu meinem Bruder nach Kanada gehen. Da ist alles besser.«
»Ich glaube nicht, daß man in Kanada Leute, die Firmengelder unterschlagen, lieber sieht als hier«, sagte Vicky boshaft. Er warf ihr einen tief beleidigten Blick zu und ging über die Straße zu Nan, um sich von ihr trösten zu lassen. Vicky kehrte zögernd ins Haus zurück; Lucy würde sehr ärgerlich sein, weil sie Dan ihre Hilfe versprochen und ihr das verschwiegen hatte.
Aber Lucy sagte nicht viel. Sie verschwendete selten viel Worte an vollendete Tatsachen. Als Vicky ihr alles erzählt hatte, sagte sie ernst: »Daß Dan sofort darauf eingehen würde, habe ich erwartet. Daß aber auch Nan dein Angebot angenommen hat, überrascht mich. Sie ist wirklich töricht; sie hat doch einen Mann! Warum hält sie sich nicht an den? Ich wollte nur, du hättest ihr nichts versprochen. Ich habe so ein Gefühl, daß du alles nur noch schlimmer machst.«
»Dieses Gefühl habe ich auch«, stimmte ihr Vicky niedergeschlagen zu. »Es hat aber keinen Sinn, darüber zu grübeln.« Und sie ging in die Küche, um Milch für Mrs. Kelston zu wärmen. Mrs. Kelston lag ihrerseits zufrieden in ihrem Bett und beobachtete zwei große Nachtfalter, die Vickys Bettlämpchen umschwirrten; dabei sann sie über das Liebesleben dieser Tiere nach.
10
Das neue Übereinkommen bewährte sich zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Seymour kam nicht regelmäßig an allen fünf Arbeitstagen. Manchmal mußte er wegen einer Besprechung in der Stadt bleiben; ein andermal hatte er länger in seiner Kanzlei zu tun und aß dann eine Kleinigkeit in Homesward. Auf seinem Weg in die Stadt schaute er morgens herein und gab Bescheid. Aber im allgemeinen erschien er um sechs Uhr dreißig zum Essen und saß dann mit ihnen und Mrs. Kelston an einem der Tea-Room-Tische. Beim Kaffee plauderten sie noch ein bißchen, dann fuhr er nach Hause.
Täglich aufs neue bewunderte er ihre Geduld mit der alten Frau. Vicky hatte am meisten mit ihr zu tun; sie war ja die Köchin und mußte sich mit ihren speziellen Wünschen plagen. Vicky war aber von Natur aus geduldiger und heiterer als ihre Freundin. Lucy war jetzt bisweilen recht niedergeschlagen und bekümmert.
Über das Geschäft machte sie sich keine Sorgen. Das Unternehmen gedieh in bescheidenem Rahmen, und dabei würde es bleiben. Es kamen täglich neue Gäste, denen die ganze Einrichtung und die netten Inhaberinnen meist so gut gefielen, daß sie immer wieder einkehrten. Es wurde beinahe Mode, aus der Stadt hierherzufahren und sich mit seinen Freunden zu treffen. Man erkundigte sich sogar nach einem gesonderten Raum für Veranstaltungen.
»Ich wollte, wir hätten einen«, seufzte Vicky. »Vielleicht später einmal...«
»Nun werde nur nicht gleich übermütig«, dämpfte sie Lucy. »Jetzt kommen wir ganz gut zurecht; die Handwerker sind eine gute Stütze. Mit dem großen Raum und allem Drum und Dran haben wir Arbeit genug. Mrs. Kelston, dein Herzenskind, bringt uns wöchentlich ein nettes Sümmchen, ebenso die Mahlzeiten für Seymour. Wir kommen ganz gut durch.«
Auch junge Männer waren unter den Gästen, und die beiden hübschen Mädchen erweckten natürlich ihre Aufmerksamkeit. Die meisten interessierten sich zunächst für Vicky. Sie war so fröhlich und
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