Das Teehaus im Grünen
Einsamkeit, in die er sich zurückgezogen hatte, hatten ihr weh getan. Ziemlich bald war sie zu dem Schluß gekommen, Vicky sei »die Richtige für ihn«, und nun schien sich ihre Hoffnung zu verwirklichen.
»Sie wird ihn wieder ins Leben zurückführen«, sagte sie zu Len, der mit trüber Miene dicke Farbkleckse auf seine Leinwand klatschte. Man erkannte ein blitzblaues Meer und einen leuchtend gelben Strand, auf dem sich ein Pferd tummelte, das eigentlich mehr einem Delphin glich. Unwillig blickte er auf.
»Oh, diese Frauen! Du bist nicht zufrieden, ehe du nicht deinen Mr. James unter die Haube gebracht hast. Dabei kann er kein besseres Leben haben als jetzt. Ich rate dir nur: laß die Finger davon!«
»Len, du willst doch nicht behaupten, daß er in den letzten Jahren glücklich war?«
»Glück ist nicht das Wichtigste«, erklärte Len mit Grabesstimme. »Viel wichtiger sind Ruhe und Frieden. Ich will nicht sagen, daß Vicky nicht für ihn taugt; aber sie ist mir nicht seriös genug. Sie will nur ihren Spaß mit ihm treiben.«
»Unsinn! Gerade so ein bißchen Spaß hat er dringend nötig. Vicky würde nie jemanden kränken wollen. Sie wird ihn aufmuntern, und er wird vergessen, was gewesen ist.«
»Aber sie könnte auch sterben! Dann wäre er noch schlimmer dran als zuvor«, meinte Len und legte dem Delphin einen hellgelben Zügel an.
»Du kannst einen wirklich zum Wahnsinn treiben, Mann! Vicky ist kerngesund; sie arbeitet den ganzen Tag und ist abends noch so vergnügt wie ein Vogel.«
»Sie ist zu lebhaft«, grunzte Len und nahm den Zügel wieder ab. »Solche Menschen machen sich selbst kaputt. Und dann diese zarte Haut! Bekanntlich ist das ein Anzeichen von Schwindsucht. Im Geiste sehe ich schon, wie Mr. Seymour sie mit gebrochenem Herzen in einem Tuberkulose-Krankenhaus besucht.«
Mit dieser Prophezeiung über Vickys Schicksal stimmte Len mit Mr. Sheldon überein. Mr. Sheldon war mit seiner neuen Sekretärin nicht zufrieden und ertappte sich gelegentlich dabei, wie er in der Zeitung die Todesanzeigen überflog.
Zweifellos war James Seymour glücklicher, als er seit Jahren gewesen war. Er genoß das freundschaftliche Verhältnis zu den beiden Mädchen; er bewunderte Lucy sehr; am liebsten hätte er sie in seiner Kanzlei gehabt. Bereitwillig half er ihr bei der Buchhaltung.
Mit Vicky wagte er sich nicht so intensiv zu beschäftigen, obwohl sie ihm tagsüber immer wieder in den Sinn kam. Es war lächerlich: sie besaß all die Eigenschaften, die er ablehnte. Es ging geradezu etwas Strahlendes von ihr aus. Sie war hübsch und heiter. Sie war es gewohnt, daß die Männer ihr nachliefen, und behandelte sie vermutlich alle genauso freundlich und warmherzig, wie es in ihrer Natur lag. Das wollte im Einzelfall nichts Besonderes heißen.
Deshalb hatte sie auch so viele Verehrer. Sie redete gern und mußte über alles lachen, sogar über die reine Wahrheit, die für einen angesehenen Rechtsanwalt etwas Heiliges war.
Kurzum, sie war für die Rolle der Ehefrau völlig ungeeignet, selbst wenn sie sich für ihn interessieren sollte; aber daran war natürlich nicht zu denken. Du benimmst dich wie ein Narr, sagte er zähneknirschend zu sich selbst, als er sein Frühstücksei viel zu lange hatte kochen lassen; du benimmst dich genauso idiotisch wie damals, vor vielen Jahren, als du um Anette geworben hast.
Das waren seine Empfindungen, wenn er nicht mit ihr zusammen war. Abends, in ihrer Nähe, fühlte er jedoch, wie sein Herz klopfte. Dieses Mädchen hatte ihn bezaubert, und so albern es auch war, er mochte sich diesem Zauber nicht entziehen.
Auch ihre leichtfertige Einstellung zur Wahrheit irritierte ihn. Eines Tages geschah folgendes: Sie hatten miteinander gegessen, wobei sie von Mrs. Kelstons Begeisterungsrufen über einen umherschwirrenden Nachtfalter häufig unterbrochen wurden. Anschließend saßen sie friedlich plaudernd und rauchend noch ein wenig beisammen. Lucy war nachdenklich und schweigsam. Wieder einmal überlegte Seymour, daß ein Mädchen wie Lucy das Leben eines Mannes mit Ruhe und Zufriedenheit erfüllen konnte, ohne daß sie sich viel Mühe geben mußte.
Trotzdem vermochte er für sie nur freundschaftliche Gefühle zu empfinden. Vicky hingegen, die gerade sehr lebhaft und witzig einige Mittagsgäste schilderte, brachte ihn fast um den Verstand, mochte er auch noch so viel an ihr auszusetzen haben. Er grübelte über diese Verwirrung der Gefühle nach, da tauchte Mrs. Kelston aufgeregt, aber
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