Das Teehaus im Grünen
gehalten? Doch nur deshalb, damit sie um so leichter ihren Willen durchsetzen kann. Sie mußte doch fühlen, was sie für mich bedeutete!
Aber sie hatte ihn an der Nase herumgeführt, war dann wohl zu Lucy gelaufen und hatte sich mit ihrer Schläue gebrüstet. Kurzum, es war genauso wie bei Annette: Ein alter Narr ist der größte Narr!
Bei ruhiger Überlegung gab er zu, daß sie ihn nicht angelogen hatte; aber sie hatte sich auch nicht genauer erklärt. So verführerisch hatte sie ausgesehen, als sie da vor ihm stand! Sogar eine Krokodilsträne hatte sie vergossen, die ihn, den Idioten, zutiefst rührte. Am nächsten Tag, als Chisholm ihn über den wahren Sachverhalt aufklärte, hatte er sich nur darüber geärgert, daß er sich hatte täuschen lassen. Das würde ihr nur neuen Stoff für eine lustige Geschichte geben. Solche amüsanten Erzählungen hatte er öfters von ihr gehört. Sein Stolz war verletzt. Es war vielleicht lächerlich — aber er fühlte sich gekränkt.
So grübelte er nachts, wenn er nicht schlafen konnte. In der Klarheit des erwachenden Tages gestand er sich ein, daß er sich wie ein verwöhntes Kind aufführte. Trotzdem blieb er dabei.
Eines Abends meinte Lucy: »Wir benehmen uns so albern wie zwei verlassene Jungfern.«
Vicky wurde ganz wild. »Nicht um alles in der Welt will ich mir um eines Mannes willen graue Haare wachsen lassen. Soll er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Komm, wir wollen zu den Chisholms gehen und uns selbstlos an ihrem wiedergefundenen Glück ergötzen!«
Lachend zogen sie los.
Aber Nans kindlicher Stolz auf ihren Mann, der diese Bewunderung wohlgefällig hinnahm, ging ihnen auf die Nerven. Sie waren auch etwas in Unruhe wegen Mrs. Kelston; sie hatte zwar erklärt, sie sei in Gesellschaft der schönen Nachtfalter restlos glücklich; es war aber zu befürchten, daß sie im dunklen Garten umherstreifte oder gar zu der großen Hauptstraße ging, um weitere Insekten aufzuspüren. Sie gingen daher bald wieder nach Hause. Dabei fiel ihnen gar nicht auf, daß nicht weit von der Einfahrt ein Auto parkte. Als sie sich dem Hause näherten, erblickten sie im Zwielicht einen Mann, der auf den Stufen der Veranda hockte. Vicky rief erschrocken: »Du meine Güte, das wird doch nicht Dan sein, der aus Kanada zurück ist?«
Dann gab’s plötzlich ein Durcheinander: Der Mann, der ganz still dasaß, hatte ihre Schritte gehört. Er blickte hoch und wurde gleich sehr aktiv. Er sprang auf, stieß Vicky rücksichtslos zur Seite und packte Lucy gebieterisch bei den Schultern. Vicky versuchte, ihrer Freundin beizustehen: Das mußte wohl so ein gefährlicher Kerl sein, vor denen einsam lebende Mädchen stets gewarnt wurden. Aber wie sollte sie Lucy helfen, wenn diese sich dem Menschen so völlig überließ! Sie versuchte nicht etwa zu fliehen, sondern stürzte sich geradezu in die Arme des Fremden und lehnte sogar ihr Gesicht an seine Schulter! Vicky war fassungslos. Dann hörte sie ein Wort: »Gordon!« und entwich schleunigst ins Haus.
Gordon! Also war Gordon doch noch gekommen! Und Lucy hatte Wort gehalten: sie war ihm einfach um den Hals gefallen! Vicky ließ sich auf dem nächsten Stuhl nieder; sie war überrascht und verwirrt. Nicht ein einziges erklärendes oder entschuldigendes Wort war gewechselt worden! Lucy ist glücklich, dachte sie. Aber was sie kann, kann ich auch. Was hätte es für einen Sinn, da die Gekränkte zu spielen?
Sie hatte viel Zeit zum Nachdenken. Sie ging auch in Mrs. Kelstons Zimmer und stellte fest, daß die alte Dame schon schlief. Die beiden kamen noch immer nicht. Vicky platzte fast vor Neugier. Warum war Gordon nicht schon früher aufgetaucht? Aber schließlich war er doch gekommen, und das war die Hauptsache. Denn was sollte ein Mädchen tun, wenn der geliebte Mann nicht erschien, wenn er um keine Erklärung bat, ja, wenn er gar nichts tat?
Endlich kamen sie, Hand in Hand, als ob nichts geschehen wäre. Wahrscheinlich hatte Gordon einen besseren Charakter als Seymour.
Aber als sie dann alles wußte, mußte sie zugeben, daß es wirklich nichts zu verzeihen gab als ihre eigene unnötige Ausrede. Gordon schien sie ihr nicht nachzutragen; er lächelte allerdings spöttisch, als Lucy die beiden einander vorstellte. Er sagte: »Das ist also die Unheilstifterin, die zwei Liebende monatelang getrennt hat?«
Das war ja lächerlich! Sie wollte gerade einwenden, daß sie mit alledem nichts zu tun gehabt hätte, daß ja alles schon passiert gewesen wäre,
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