Das Teehaus im Grünen
wäre in England. Ich rief Sheldon zwar an, fragte ihn aber nur nach der Adresse ihrer Mutter. So albern das auch war — ich saß halt immer noch auf dem hohen Roß. Mein Mädchen war nach England gegangen, ohne mir auch nur eine Zeile zu hinterlassen. Ich schrieb trotzdem an die Adresse von Lucys Mutter. Eigentlich war das eine Demütigung; es kostete mich einige Überwindung.«
»Warum hat Lucys Mutter den Brief nicht an sie weitergeschickt?«
»Das verstehe ich auch nicht«, warf Lucy ein. »Aber sie war zu dieser Zeit in Amerika, und der Brief blieb wohl in England liegen. Bei ihrer Rückkehr — na, du weißt ja, wie genial Mutter in solchen Dingen ist! Sie kümmerte sich zuerst einmal gar nicht um all die liegengebliebene Post; dann schrieb sie die Adresse hinten drauf und ließ den Brief aus unerfindlichen Gründen an Gordon zurückgehen.«
»Und als er bei Ihnen eintraf...?«
»Da lief ich schnurstracks zu Mr. Sheldon; er berichtete, was inzwischen geschehen war. Er erzählte, er habe die Kündigung von Miss Avery sehr bedauert; sie habe ihrer kleinen Freundin zuliebe, der sie von Herzen zugetan sei, diese Veränderung auf sich genommen. Diese Freundin habe wohl nicht mehr lange zu leben; das war aus seinen Worten herauszulesen.«
Vicky errötete. »Ach Gott, das hatte ich ganz vergessen! Das ist ja schrecklich!«
Gordon betrachtete sie neugierig. »Es ist doch seltsam, daß ein so nettes Mädchen wie Sie sich so etwas angewöhnen konnte.«
»Jetzt verstehe ich das auch nicht mehr. Aber als ich damit anfing, war ich noch sehr klein.«
»Aber jetzt sind Sie erwachsen, wenn auch nicht besonders groß; es wäre an der Zeit, diese Angewohnheit wieder abzulegen.«
»Das tue ich ja auch. Genau gesagt, ich habe nicht...«
Doch Lucy hatte Gordon schon von dem Ausdruck »genau gesagt« berichtet, und die beiden platzten so laut heraus, daß Vicky ihren Satz nicht beenden konnte.
Es wurde ein vergnügter Abend. Es war typisch für Vicky, daß sie anscheinend ihren eigenen Kummer vergaß und ganz und gar in Lucys Glück aufging. Trotz ihrer Fehler war sie eben ein selbstloser Charakter. Als Lucy das jedoch aussprach, wehrte sie erschrocken ab. »Wie kannst du nur so reden, Lucy, wo ich doch so etwas Dummes gemacht habe und dich fast ins Unglück gebracht hätte. Ich wollte das Richtige tun, aber es war das Falsche. Anscheinend will mir das Rechte nie gelingen.«
Die beiden Mädchen saßen, als Gordon gegangen war, noch in Lucys Zimmer beisammen und plauderten so unbeschwert wie seit langem nicht mehr.
»Da ihr einander nun endlich gefunden habt, werdet ihr wohl bald heiraten?« fragte Vicky.
Sie überlegte sich offensichtlich, was dann aus dem Tea-Room und ihrem gemeinsamen Leben werden würde. Deshalb erwiderte Lucy schnell: »Daran haben wir noch gar nicht gedacht. Das eilt ja nicht.«
Dieser kleine Schwindel hätte von Vicky selbst stammen können; denn in Wahrheit hatte Gordon gesagt: »Jetzt habe ich das Warten satt. Wir haben schon viel zuviel Zeit verloren. Sieh zu, daß du das Haus und den Tea-Room so bald wie möglich los wirst, und dann wird geheiratet.«
Damit müßten sie noch etwas warten, hatte sie ihm entgegnet. Sie beide seien ja jetzt glücklich, da komme es auf ein paar Wochen oder Monate nicht an. Das ärgerte ihn; am nächsten Tag kam er wieder darauf zurück. Aber Lucy blieb fest.
»Das geht jetzt nicht. Natürlich möchte ich dich auf der Stelle heiraten, aber wir müssen auch an Vicky denken. Gemeinsam mit ihr habe ich das Grundstück gekauft; sie hat noch zusätzlich ihr ganzes Geld hineingesteckt.«
»Dann soll sie es doch übernehmen. Oder wenn das nicht geht, verkauft ihr es eben wieder; dann kriegt ihr beide euer Geld zurück. Es ist ein hübsches altes Haus, und der Tea-Room scheint zu florieren. Du könntest gleich morgen ein Inserat in die Zeitung setzen.«
»Jetzt noch nicht! Bitte, Gordon, sei nicht so ungeduldig! Du mußt mir ein wenig Zeit lassen, damit man sieht, was aus Vicky wird und wie sie zurechtkommt. Sobald ich das weiß, tue ich alles, was du willst.«
»Gut, ich nehme dich beim Wort! Aber was soll denn schon aus ihr werden? Steckt da etwa ein Mann dahinter?«
»Ja.«
»Sie ist eigentlich der Typ, der mit achtzehn heiratet.«
»Du kennst Vicky nicht. Sie hatte immer eine Menge Verehrer, aber sie wollte nur einen heiraten, den sie wirklich liebt. Und den gibt es jetzt.«
»Na also.« Er gab sich einen gewaltigen Ruck. »Wenn du sie im Augenblick absolut
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